ARSCHKALT IM WALD AM ARSCH DER WELT
„Boarding for Flight 334 to Whitehorse starts now at Gate 2“ ertönt es aus den Lautsprechern in der Wartehalle des Flughafens. Naja wohl eher Warteraum. Und Gate 2 ist eins der beiden einzigen Gates, die es hier am Flughafen in Inuvik gibt. Sicherheitskontrolle? Fehlanzeige! Wo es sonst heißt „Was, eine Nagelschere? Auf gar keinen Fall du Terrorist“ interessiert es hier niemanden, was wir in unserem Handgepäck haben. Ja so läuft es hier halt im Norden. 300km nördlich des Polarkreises. Wir laufen über das Rollfeld zu dem kleinen Flugzeug, dass dort steht. Der Wind peitscht uns mit -30°C ins Gesicht. Die Arktis zeigt sich noch mal von ihrer besten Seite. Wir setzen uns auf zwei der letzten freien Sitze im Flieger. Festgelegte Sitzplätze gibt es hier nicht und das Boarding Ticket will sowieso niemand sehen. Das Flugzeug setzt sich in Bewegung, wir werden in den Sitz gedrückt und schauen aus dem Fenster auf die weiße, Mond-artige Landschaft. Der Wind lässt den Schnee über das Rollfeld jagen und in unseren Gedanken jagen die Eindrücke der letzten Wochen durch. Fangen wir ganz vorne an.
Es ist der 31.01.2024 05:00 Uhr in Vancouver. Der Wecker klingelt. Es geht los. Auf ins nächste Abenteuer. Vancouver zeigt sich auch heute wieder von seiner besten Seite. +5°C und Regen. So wie fast den ganzen Januar durch. Vor allem die letzten 1,5 Wochen, sind wir hier in ein richtiges Loch gefallen, den ganzen Tag war es nur grau und nass. Daher ist die Vorfreude groß, nun endlich diesen Ort zu verlassen. Wir packen die letzten Sachen in unsere Rucksäcke, gönnen uns eine, vielleicht vorerst letzte, Dusche und machen uns auf den Weg zum Flughafen. Wir verspüren eine leichte Aufregung. Nach drei Monaten in Vancouver, endlich mal wieder dieses „Travel Feeling“, was in uns aufkommt. Nachdem wir in den vergangenen drei Wochen nun bereits zwei Mal zum Flughafen gefahren sind, um Sabrina und Susanne zu verabschieden, ist es nun endlich für uns an der Zeit, unsere Koffer einzuchecken und den Flieger ins Ungewisse zu besteigen.
Nach einem zweieinhalbstündigen Flug kommen wir in Whitehorse, unserem Zwischenstopp, an. Der Flughafen ist sehr überschaubar. Nachdem wir einige Meter gehen, sind wir bereits am Ende angelangt. Da wir einen vierstündigen Aufenthalt hier haben, nutzen wir die Zeit um Mittag zu essen. Dachten wir. Denn hier im Flughafen gibt es, außer einem kleinen Souvenirladen, nichts. Im Wartebereich sitzt neben uns eine Frau, die uns bereits im Flieger nach Whitehorse aufgefallen ist. Wir kommen mit ihr ins Gespräch und sie stellt sich uns als „Vee“ vor. Eine, geschätzt Mitte 50-jährige Frau, mit kurzen blonden Haaren und einem, sagen wir, leicht ausgefallenem Outfit. Sie wirkt sehr aufgeschlossen und taff. Vee erzählt uns, dass sie Krankenschwester ist, die immer mal wieder für ein paar Wochen in den hohen Norden von Kanada fliegt, um dort in kleinen Krankenhäusern oder so genannten „Nursing Stations“ auszuhelfen. Anschließend hat sie mehrere Wochen frei, die sie auf ihrem Boot in Vancouver oder Vancouver Island verbringt. Früher war sie bereits oft mit dem Militär im Norden und kennt sich somit sehr gut aus. Sie gibt uns ein paar Tipps, wie man sich bei diesen eisigen Temperaturen am besten verhalten sollte und erzählt aus ihrem Leben. Jetzt ist sie gerade auf dem Weg nach Aklavik, der 600 Einwohnenden Gemeinde in der Nähe von Inuvik, um dort für 4 Wochen auszuhelfen. Nach einer Weile klinkt sich eine weitere Frau in unser Gespräch ein. Auch sie ist Krankenschwester und gerade auf dem Heimweg nach Ontario. Viele Menschen in Pflegeberufen nehmen an diesem Programm teil. Es gibt im Norden einfach zu wenig Fachpersonal, so dass man sich das Personal aus dem dichter besiedeltem Süden einfliegen lassen muss.
Vee empfiehlt uns ein Restaurant, dass nur fünf Minuten vom Flughafen entfernt ist. Hierzu müssen wir nur den bekannten Alaska Highway überqueren. Auf unserem Weg kommen wir am Yukon-Schild vorbei, auf dem steht „Yukon – größer als das Leben“. Ja, das können wir uns vorstellen. Das Restaurant mit dem kleinen Motel sieht süß und urig aus. Holzvertäfelte Wände mit Bildern und Jagdtrophäen und in der Mitte des Raumes eine Feuerstelle. Wir bestellen Burger, Pommes und ein Grilled Cheese Sandwich. Die Kellnerin fragt uns, woher wir kommen, und dann antwortet sie auf Deutsch, dass sie aus Ahrensburg, einer Stadt nördlich von Hamburg, kommt, aber seit vier Jahren in Whitehorse lebt. Ja, die Deutschen sind einfach überall.
Mit einer Verspätung von 30 Minuten beginnt das Boarding zu unserem nächsten Flug. Zusammen mit Vee stehen wir in der Schlange zum Boarding. Wir erwarten, wie üblich, dass wir gleich eine Sicherheitskontrolle passieren müssen. Aber hier im Norden laufen die Dinge anscheinend ein bisschen anders ab. Niemand interessiert sich für unser Gepäck. Immerhin der Reisepass wird kontrolliert und kurz auf einer ausgedruckten Liste gegengeprüft, ob wir tatsächlich für den Flug gebucht sind. Wir laufen über das Vorfeld zu unserem Flugzeug. Eine kleine, mit zwei Turboprops ausgestatte ATR 42-320. Es finden nur maximal 42 Passagiere Platz in diesem kleinen Flieger. Heute sind es sogar nur 15-20 Menschen, die mit uns in diesem Flieger sitzen. Die Sitze auf der einen Seite sind vollgepackt mit Cargobags, gefüllt mit Boxen voller Lebensmitteln und anderem Kram. Vee hatte uns bereits erklärt, dass es auf diesem Flug keine festen Sitzplätze gibt. Einfach dorthin setzen wo frei ist. Obwohl wir fast die letzten sind, können wir in der ersten Reihe am Notausgang sitzen. Neben uns sitzt ein asiatisch aussehendes Paar. Sie tragen Kleidung, die mich etwas and diese Arktis-Expeditions-Filme oder Dokus vom Besteigen des Mount Everests erinnert. Sind wir jetzt diese dummen Touris, die in Jeans und normaler Jacke in die Arktis fliegen? Wissen die beiden vielleicht mehr über unseren Zielort und was uns dort erwartet? Aber egal, jetzt ist eh zu spät. Unsere ganzen warmen Klamotten sind irgendwo in unserem Gepäck im Gepäckraum. Und mal ganz ehrlich, was soll man bitte anziehen, wenn man von +5°C über -15°C nach -25°C fliegt und immer wieder in warmen Innenräumen sitzt? Die Stewardess trägt, statt wie üblich eine schicke Uniform mit irgendeinem albernen Halstuch oder seltsamer Kopfbedeckung, einen dunkelblauen Arbeitsoverall. Das ganze Flugzeug wirkt auch im Innenraum schon ein bisschen abgenutzt. Also nicht in der Art, dass man sich Sorgen macht, dass das Flugzeug auseinanderfällt, sondern einfach genutzt. Das Flugzeug dient hier wirklich als reines Transportmittel, ohne viel Schnick Schnack und Etepetete Kram. Air North scheint eine unkomplizierte und praktische Airline zu sein – das lieben wir.
Der Flug nach Inuvik ist atemberaubend. Wir haben keine Turbulenzen und eine super Aussicht. Wir fliegen über große schneebedeckte Berge, zugefrorene Seen und Flüsse, flaches Land und das alles mit einem wunderschönen Sonnenuntergang im Hintergrund. Eine solche Landschaft haben wir noch nie gesehen. Weit und breit kein Anzeichen menschlichen Lebens. Dieses kleine, etwas abgerockte Flugzeug, die Stewardess im Overall, das asiatische Expeditionspärchen neben uns, die leichte Kälte im Flieger und diese unwirkliche, endlose weiße Landschaft draußen, lassen uns teilweise fühlen, wie in einem Film über eine Arktis Expedition. Und naja irgendwie ist es das ja auch für uns. Eine Entdeckungsreise in eine entlegene Region.
Nach zwei Stunden erreichen wir den Flughafen Inuvik. Wieder müssen wir über das Vorfeld laufen, um vom Flieger zum Terminal zu kommen und heilige Scheiße, -25°C ist wirklich nochmal eine ganz andere Nummer als die -15°C in Whitehorse. Die Kälte beißt im Gesicht. Die Natur zeigt einem hier sehr deutlich, dass der Mensch hier eigentlich nichts zu suchen hat. Wir sind definitiv angekommen in der Arktis. Vielleicht hätten wir doch mehr anziehen sollen. Aber gut, wir werden es überleben. Der Flughafen in Inuvik ist noch kleiner als in Whitehorse und wir bekommen unsere, teils gefrorenen, Rucksäcke am kleinsten Gepäckband aller Zeiten zurück. Ein Paar in traditionell aussehender, wunderschöner Kleidung holt Vee ab, wir verabschieden uns und wünschen ihr eine gute Reise. Wieder einer dieser wunderbaren kurzen Begegnungen.
Wir nehmen unser Gepäck vom Gepäckband und gehen nach draußen. Vor dem Terminal(chen) steht ein weißer ramponierter Van mit einem Eulen Symbol auf der Motorhaube. Drei vermummte Gestalten, von denen man maximal die Augen erkennen kann, steigen aus dem Van und kommen auf uns zu. Es sind die drei anderen Freiwilligen, die bereits im Okpik Arctic Village leben. So treffen wir Manu (deutsch, 22), Meggan (deutsch, 20), ihren Freund Mathéo (französisch, 22), Apun und Sedna, beide 4 Monate alt und richtig flauschig. Wir schmeißen unser Gepäck in den Kofferraum, wo bereits ein Ersatzreifen, bisschen Stroh und noch andere Dinge rumliegen. Naja einfach das Gepäck irgendwie oben drauf schmeißen. Die Hecktür ist stark eingedellt und will nicht mehr so richtig schließen. Ein Seitenfenster ist auch kaputt und geht nicht mehr zu und ein Nummernschild hat der Van auch nicht mehr. Oh man, wo sind wir denn hier reingeraten? Aber immerhin, die drei anderen sind sehr lieb und wir kommen direkt ins Gespräch. Der Flughafen liegt außerhalb der Stadt, so dass wir erstmal ein kurzes Stück durchs Nichts fahren müssen, bis wir in Inuvik ankommen. Der Schnee, die Dunkelheit und die eisigen Temperaturen, lassen die Stadt sehr apokalyptisch und verlassen aussehen. Auf der Straße kaum Verkehr und keine Menschenseele. Inuvik ist mit den ca. 3000 Einwohnenden die größte Stadt in der Region. Der nächstgrößere Ort, etwa 100 km westlich von Inuvik, ist Aklavik mit ca. 600 Einwohnenden oder das 150 km nördlich gelegene Tuktoyaktuk, mit etwa 900-1000 Einwohnenden. Um mal die Dimensionen zu verdeutlichen: die „Northwest Territories“ sind über 3,5 mal so groß wie Deutschland und haben in etwas so viele Einwohnende wie Buxtehude in Niedersachsen, nämlich ca. 44.000. Inuvik liegt am Ufer des „East Channel“, dem östlichen Arm des Mackenzie-Deltas. Und genau auf diesen biegen wir dann auch ab. Richtig, wir fahren ans Ufer des Flusses und ein Schild sagt „Inuvik-Aklavik Ice Road Open“. Es geht einen kleinen Hügel hinunter und schon befinden wir uns mit dem Auto auf einem zugefrorenen Fluss. Es ist weniger spektakulär, als man es sich jetzt vorstellt, dennoch ist es ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass man nun mit einem Auto auf einem zugefrorenen Fluss fährt und ein paar Meter unter uns immer noch das Wasser fließt. Die Ice Road geht es dann etwa eine halbe Stunde Richtung Norden. Vorbei an einem kleinen Hafen, in dem einige Schiffe liegen, die dort, vom Eis eingeschlossen, überwintern. Ein seltsamer Anblick. Auch hier wirkt es wieder sehr apokalyptisch und als sei die Zeit stehen geblieben. Es folgen noch zwei drei Häuser am Ufer und dann kommt nichts mehr. Die letzte Viertelstunde fahren wir nur durch die Dunkelheit. Nach 16 km kommen wir dann endlich an, irgendwo mitten im Nirgendwo am Arsch der Welt. Ein großes Wohnmobil und ein Anhänger parken direkt am Flussufer, bzw. Straßenrand. Manu, der Fahrer, fährt einige Kreise, um den Schnee niederzudrücken, sodass wir beim nächsten Mal, wenn wir das Auto benutzen möchten, nicht so viel Schnee schaufeln müssen. Bei unserer dritten Runde auf dem zugefrorenen Fluss fahren wir uns dann aber fest. Mathéo und ich gehen nach draußen, um den Van anzuschieben, aber er bewegt sich überhaupt nicht. Hier mache ich bereits die erste Erfahrung mit der extremen Kälte. Denn beim Anschieben vom Auto, habe ich keine Handschuhe an und merke recht schnell, dass es keine gute Idee ist, das blanke Metall vom Auto ohne Handschuhe anzufassen. Da das Schieben nicht hilft, müssen wir also den Schnee wegschaufeln. Das Auto liegt mit dem Motorblock auf einem großen festen Schneehaufen. Also legen wir uns unters Auto und fangen an, den Schnee zu entfernen. Nach ca. 10 Minuten ist es geschafft und das Auto ist wieder frei. Wir nehmen unsere Rucksäcke und folgen den anderen durch tiefen Schnee in die Dunkelheit. Eine Mischung aus Nervosität und Vorfreude kommt in uns auf. Auch Gedanken wie „Was zur Hölle machen wir hier?“ sind nicht ganz fern. Wir sind die letzten Stunden mit dem kleinsten Flugzeug überhaupt, irgendwo in die Arktis geflogen, wo wir von 3 Fremden in einem abgerockten Van abgeholt wurden, um nun mit unseren Rucksäcken bei -25°C irgendwo im Nichts durch tiefen Schnee in die Dunkelheit zu laufen. Um uns herum ist weit und breit nichts. Garnichts. Wir sind gespannt, wie unser Zuhause für die nächsten vier Wochen wohl aussehen wird. Nach etwa zehn Minuten Fußmarsch kann man dann endlich die Umrisse und Lichter von zwei Holzhütten und ein paar Zelten erkennen. Aus der Dunkelheit hört man lautes Hundebellen, doch das Einzige, was man von den Hunden sieht, sind die Augen, die in der Dunkelheit das Licht unserer Taschenlampen reflektieren. Ein paar dieser Augen, scheinen näher zu kommen. Es sind die kleinen Welpen. Sechs kleine süße Welpen, die gerade einmal 5 Monate alt sind und zu diesem Zeitpunkt noch frei rumlaufen, begrüßen uns und begutachten argwöhnisch ihre neuen Mitbewohner. Apun und Sedna waren bereits mit uns im Auto. Die anderen Vier sind Tuktu, Kiyuk, Tałak (gesprochen „Taschlack“) und Sesi. Einige sind noch sehr schüchtern, während andere wiederum direkt zu uns kommen. Und dann stehen wir auch endlich vor unserer Hütte. Unserem neuen Heim für die nächsten Wochen. Die Holzhütte, gebaut aus Holzstämmen, steht leicht erhöht. Eine kleine Treppe führt zur Eingangstür, über der ein großes Geweih hängt. Wir treten ein und sehen auf der linken Seite zwei Feldbetten, die bereits mit Schlafsäcken und Kopfkissen vorbereitet sind. Es scheint so, als wären das unsere Schlafplätze. Hmm okay, das kann ja was werden in den Feldbetten. Die Begeisterung über unsere Schlafplätze hält sich in Grenzen. In der Ecke steht ein Holzofen, hinter dem das Feuerholz an der Wand gestapelt liegt. Daneben ein Hochbett, in dem Mathéo und Meggan schlafen und direkt darunter hat Manu sein eigenes Feldbett. Auf der rechten Seite gibt es einige Schränke und neben der Tür steht ein großer Tisch und darüber hängt ein großer Flachbildschirm und einige DVDs. Okay, was macht dieses Ding hier? Wir dachten, wir würden abgelegen leben. Fernab von digitalen Medien, Internet und all diesen zivilisierten modernen Dingen, aber nein. Es fällt dann auch schnell der Satz „Achja, das WLAN heißt hier übrigens Starlink und das können wir gerne nutzen.“ Na toll, WLAN und ein großer Flachbild TV klingt nicht so nach abgeschieden von der Außenwelt leben. Aber egal, wir wollen trotz WLAN unsere Handynutzung einschränken bzw. das Handy gar nicht nutzen, was auch gut klappt die nächsten Tage. Insgesamt wirkt die Hütte sehr chaotisch, da ein Teil der Hütte als Lagerplatz für Werkzeug und Geräte genutzt wird und der Tisch anscheinend auch als kleine Werkbank dient und unter dem Tisch das Trinkwasser in Kanistern gelagert wird. Generell liegt viel rum, wenn 5 Menschen hier zusammen in einer geschätzten 16qm großen Hütte leben. Denn jeder von uns hat auch viele Klamotten, wie Hose, Skihose, Handschuhe, Mütze, Schal, Winterstiefel, dicke Jacke, lange Unterwäsche usw.. All das muss irgendwo in der Hütte verstaut werden. Die Decke hängt voll mit Handschuhen, Mützen, Socken, Handtücher, Schals und allem, was sonst noch so trocknen und warm werden muss. Wir bekommen einen kleinen Schrank für unsere Sachen und versuchen uns irgendwie in dieser kleinen Hütte zu arrangieren. Eine Sache, die uns jetzt aber schon beruhigt ist, dass es schön warm hier drinnen ist. Als Sitzgelegenheiten dient ein alter Sessel, auf dem ein Biberfell liegt, ein Stuhl mit einem Wolfsfell und ein paar Klappstühle. Die Felle stammen anscheinend von selbst erlegten Tieren.
Nachdem wir einen ersten Eindruck von unserer Hütte bekommen haben, lassen wir unsere Sachen dort und gehen hoch zu der anderen Hütte, in der Kylik wohnt. Diese Hütte wurde auf etwa 3 Meter hohen Stelzen gebaut, so dass man erst mal eine Holztreppe hochlaufen muss, um in die Hütte zu gelangen. Diese Hütte ist das zu Hause von Kylik und Sophie. Kylik ist der Camp Leiter und hat vor einigen Jahren, dieses ganze Camp aufgebaut. Sophie, ursprünglich aus Deutschland, kam vor ein paar Jahren hier in den Norden als Praktikantin und ist bis heute hiergeblieben und kümmert sich hauptsächlich um die Organisation im Camp. Unser Kennenlernen mit Sophie muss allerdings noch 2 Wochen warten, da sie momentan in Deutschland auf Heimaturlaub ist. Die Hütte von Kylik und Sophie dient auch als gemeinsamer Ort zum Kochen und Essen, weswegen wir nun auch dorthin gehen. Dort treffen wir Kylik, von dem wir bis jetzt nur Videos, Dokus und Erzählungen kannten, und sind gespannt, wie er wohl so ist. Die Begrüßung fällt aber recht kurz und knapp aus und es scheint zunächst, als hätte er kein großes Interesse an uns. Es fühlt sich auch etwas seltsam an, da man hier quasi in seinem Schlaf-, Wohn- und Esszimmer steht. In der Hütte lebt auch Ulu, 4 Jahre alt und die Hundemama von allen 20 Hunden da draußen. Ulu ist immer sehr skeptisch mit neuen Menschen und sehr zurückhaltend. Die Hütte sieht auch sehr rustikal und zweckmäßig aus. In der einen Ecke steht ein Hochbett, daneben ein Schreibtisch und ein Kühlschrank. Im Eingangsbereich steht der große Holzofen und dann gibt es noch einen Gaskocher in der einen Ecke, ein paar Schränke für Lebensmittel und in der Mitte des Raumes steht ein Campingtisch mit Campingstühlen. Neben dem Holzofen steht noch ein kleines Sofa, auf dem meistens Ulu ihren Platz findet. Alles wirkt sehr stark zusammengewürfelt und eher zweckmäßig zusammengebaut zu sein als für Gemütlichkeit. Der Küchen- und Essbereich wirkt auf den ersten Blick auch nicht sonderlich sauber. Es ist nun mal so, dass durch den Holzofen viel Staub und Asche rumfliegt, was sich überall niederlässt und dadurch, dass man ständig von draußen rein läuft mit Schuhen usw. auch viel Dreck hereinkommt. Aber Putzen scheint hier auch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste zu stehen. Es ist, auf Grund der Begebenheiten, hier draußen auch schwerer den hygienischen Standard hochzuhalten. Wir leben schließlich hier mitten im Nichts, in der Wildnis, im Bush. Und wir haben natürlich auch keine perfekt geputzte und hygienisch 100% reine Umgebung erwartet, aber doch schon irgendwie mehr als das, was wir bisher gesehen haben. Die Anderen kochen Reis, Linsen und Bärenfleisch und wir essen alle zusammen. Bärenfleisch schmeckt seltsam, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ein leicht süßlicher Geschmack. Sehr fettig und etwas zäh (was vielleicht auch an der Zubereitung gelegen haben kann). Auch dieser Bär wurde selbst gejagt und erlegt. Wir machen uns jetzt auch kurz Gedanken, um das, was wir die nächsten 4 Wochen wohl essen werden hier. Gibt es jetzt jeden Tag nur Reis mit Fleisch? Ohne Gemüse? Sophie hatte uns vorab schon erzählt, dass die Ernährung hier nicht so ausgewogen ist und auch viel aus Trockenproviant und selbstgejagtem Fleisch besteht, aber die Vorstellung, dass jetzt jeden Tag zu haben, ist in diesem Moment schwierig. Kylik erzählt uns, wie wir in den nächsten Tagen arbeiten sollen. Ein Team steht um 7 Uhr morgens auf, um den Ofen in unserer Hütte anzufeuern, den Generator nach draußen zu stellen und zu starten, die Hühner zu füttern, alle Hunde zu begrüßen und das Frühstück für 8 Uhr vorzubereiten. Morgen sind das Manu, Lara und ich sowie Kylik, denn er wird uns zeigen, wie alles funktioniert. Das andere Team kann länger schlafen. Ein Team bleibt nach dem Frühstück in der Hütte, um das Geschirr zu spülen und aufzuräumen. Dies ist auch das Team, das den ganzen Tag im Camp bleibt und alle damit verbundenen Aufgaben erledigt. So zumindest der Plan.
Nach dem Abendessen gehen wir zurück zur Hütte. Auf dem Weg ist es dann nun auch so weit. Es gilt, eine weitere spannende Begebenheit hier in diesem Camp zu entdecken. Die Toilette. Wir wussten ja schon, aus der Erzählung, dass uns hier ein unbeheiztes Plumpsklo erwartet. Aber wir konnten uns nicht vorstellen, wie es wohl ist bei -25°C, draußen zu pinkeln und zu kacken. Das „Outhouse“, wie das Plumpsklo genannt wird, ist ein kleiner Holzverschlag. Licht spendet eine akkubetriebene Baustellenleuchte. Es ist ein bisschen wie ein Plumpsklo, aber mit zwei Eimern, ein Eimer vorne für Pipi und einem zweiten Eimer für alle anderen Dinge hinten. Eine so genannte Trenntoilette. Neben der Toilette steht ein weiterer Eimer mit Asche aus dem Ofen, um die Asche über die Kacke zu streuen, damit es nicht stinkt. Da jegliches Wasser dort einfrieren würde, gibt es zum Händewaschen nur Desinfektionsmittel. Zum richtigen Händewaschen mit Wasser, muss man dann erst wieder zurück zur Hütte gehen. Damit der Hintern nicht festfriert, besteht der Toilettensitz aus Styropor. Um es vorwegzunehmen, es klingt erstmal alles total schlimm mit so einer Toilette, aber wir gewöhnen uns sehr schnell daran. Die Kälte bringt da auch so seine Vorteile mit sich, denn zum einen stinkt es nicht und die Hinterlassenschaften frieren sehr schnell ein, was gerade zum Ausleeren der Toilette ein echter Segen ist. Und zum anderen minimiert man seine Zeit auf der Toilette. Ausgeleert werden die Eimer in großen schwarzen Tonnen bzw. in einem Bereich im Camp, der später im Sommer dann anscheinend der Komposthaufen sein soll. Auch wenn wir uns sehr schnell an die Toilette an sich gewöhnen und es gar nicht so schlimm ist, wie es erstmal klingt, kostet es jedes Mal Überwindung, wenn man drinnen in der warmen Hütte sitzt, sich anzuziehen und nach draußen in die Kälte zu gehen, wenn man mal muss. Vor Allem wenn man nachts wach wird und pinkeln muss, muss man dann raus aus dem warmen Schlafsack, alle Klamotten anziehen, raus in die Kälte, sein Geschäft verrichten, zurück in die Hütte und wieder alle Klamotten ausziehen und zurück ins Bett.
Dann ist es Zeit fürs Bett. Ich frage, wo ich mein Handy laden kann, und die anderen sagen mir, dass ich meine Sachen nur aufladen sollte, wenn der Generator eingeschaltet ist. Ich komme mir dumm vor, weil ich gefragt habe, aber ich glaube, ich bin einfach so daran gewöhnt, dass ich mein Telefon einstöpsel, bevor ich schlafen gehe. Aber hier ist das Leben anders. Die Schlafsäcke sind etwas schmutzig und riechen nicht frisch, aber sie waren die besten, die die anderen Freiwilligen finden konnten. Wir wussten, dass es ein Abenteuer werden würde, also „Augen zu und durch“.
Die Nacht ist nicht wirklich erholsam. Wir schlafen beide relativ schlecht auf unseren Feldbetten. Viele Gedanken und Eindrücke des Tages kreisen im Kopf herum. Und tatsächlich kommen auch Gedanken auf, ob das wirklich das Richtige ist, was wir hier tun. Unsere Ankunft hier im Camp, war in einigen Punkten anders als erwartet. Auch wenn die anderen drei Freiwilligen, ihr Bestes gegeben haben, uns die Ankunft so angenehm wie möglich zu gestalten, gibt es jetzt bereits einige Dinge, die anders sind als erwartet. Uns wurde im Vorhinein kommuniziert, dass wir maximal zu viert in einer Hütte sein werden, und dass es zwei Hütten für die Freiwilligen gibt. Eine größere für 3 Personen und eine kleinere für 2 Personen, in der dann wir beide und das andere Pärchen, Meggan und Matheo, im Wechsel leben sollten. Und jetzt sind wir zu fünft in einer Hütte, weil die andere Hütte angeblich nicht bewohnbar ist. Aus den Erzählungen der Anderen, stellen wir fest, dass wir hier anscheinend auch viel mehr Stunden arbeiten als eigentlich abgemacht. Im Vertrag war eine Wochenarbeitszeit von 30-35 Std. vereinbart. Aber da wir von Montag bis Freitag von 09:00-13:00 und 14:00-18:00 arbeiten und zusätzlich Samstag und Sonntag den ganzen Nachmittag jeweils etwa 5-6 Stunden, kommen wir auf eine Wochenarbeitszeit von über 50 Stunden. Die Unordnung in der Hütte und dass wir nun auf Feldbetten schlafen, zählen auch in die negativen Eindrücke mit rein. Auch unser erstes Treffen mit Kylik, von dem wir bisher nur einen Eindruck aus Videos und Filmen bzw. Dokumentationen hatten, lief doch anders ab, als erwartet und es stellte sich schnell heraus, dass der Eindruck aus den Filmen nicht ganz mit der Realität übereinstimmt. Auch der Gedanke, dass man jetzt nicht mal einfach so hier wieder wegkommt, ist irgendwie seltsam. Und dann, mitten in der Nacht, passiert es auf einmal. Es tritt das ein, wovor die Anderen uns gewarnt hatten. Es hat sich schon etwas länger angekündigt und ich habe es lange versucht zu ignorieren, aber jetzt wird es zu doll. Ich muss pinkeln. Och nööö. Und nun? Jetzt heißt es wohl, raus aus dem warmen Schlafsack, Hose anziehen, Pullover anziehen, Jacke anziehen, Mütze aufsetzen, Stiefel anziehen und raus in die Kälte und die Dunkelheit. Ich nutze meinen männlichen Vorteil und gehe nur ein paar Meter neben die Hütte, um dort in den Schnee zu pinkeln. Dies ist auch ein nerviger Aspekt im Outhouse, dass es gefühlt Ewigkeiten dauert, bis man da mal seine ganzen Schichten und Lagen an Klamotten ausgezogen hat und danach wieder angezogen. Während ich also draußen stehe und pinkel, bellen die Welpen auf einmal los. Scheiße denke ich. Denn die Welpen leben genau unter unserer Hütte und da ich noch neu bin für sie, bellen sie mich nun an. Mitten in der Nacht, während alle anderen in der Hütte schlafen. Ich habe ein schlechtes Gewissen und hoffe nur, dass jetzt nicht alle wach geworden sind. Ich gehe wieder rein, ziehe alles aus und krieche zurück ins Bett, um noch ein bisschen Schlaf zu bekommen, bevor nun bald der Wecker klingelt.
Der erste Tag am Arsch (der Welt)
Um 06:45 tut er das dann auch. Es ist kalt. Das Thermometer in der Hütte zeigt irgendwas zwischen 5°C und 10°C. Da ist die Motivation, aufzustehen, nicht sonderlich hoch. Wird das jetzt jeden Morgen so sein? Aufstehen in Eiseskälte, während es draußen ja nochmal viel kälter ist. In diesem Moment kommen noch mehr Zweifel in uns hoch. Wir haben auf beschissenen Betten, beschissen geschlafen. Ich musste in der Nacht raus, es ist immer noch komplett dunkel, eine ganz neue Umgebung, es ist kalt, überall Chaos und man weiß nicht wo man seine Sachen lassen soll, wir sind müde und wissen, dass wir jetzt raus müssen in die Kälte. Alles keine sonderlich guten Bedingungen, um frohen Mutes in den Tag zu starten. Abgemacht war, dass wir uns um 07:00 vor der Hütte mit Kylik treffen. Da wir uns eigentlich nur anziehen müssen und raus gehen, dachten wir, reicht eine Viertelstunde locker aus. Aber das Anziehen der ganzen Lagen Klamotten und auch sich dort in der Hütte zu organisieren, braucht dann doch mehr Zeit als gedacht, so dass wir am ersten Tag schon ein bisschen zu spät sind. Es ist eben doch etwas anderes, wenn man sich morgens anzieht und fertig macht um für -25 oder -30 Grad vorbereitet zu sein. Draußen ist es immer noch dunkel, und so sehen wir nach wie vor nicht viel vom Camp. Es fühlt sich noch viel kälter an, als am Abend zuvor und sowieso ist es sehr ungewohnt, direkt nach dem Aufstehen in dieser Kälte zu sein. Irgendwie fühlt es sich an, als wäre man auf einem fremden Planeten unterwegs. Die Luft ist voller Eiskristalle, die im Licht unserer Stirnlampen glitzern und außer Schnee und Dunkelheit, gibt es nicht viel zu sehen. Seltsam an einem Ort zu sein, von dem man noch nicht mal ansatzweise die Umgebung gesehen hat. Kylik zeigt uns kurz, wie wir den Generator starten. Die Stromversorgung läuft hier ausschließlich über den Generator und ein paar großen Batterien. In der Regel starten wir den Generator drei Mal am Tag für 1-2 Stunden. Anschließend geht es dann zu den Hunden. Die Hunde sind alle noch sehr ruhig und verschlafen so früh am Morgen. Kylik geht mit uns zu jedem einzelnen Hund und wir begrüßen sie. Jetzt schon merkt man sofort gewisse Charakterzüge bei den Hunden. Und endlich sehen wir auch mal die Wesen, von denen wir gestern nur die Augen gesehen und das Bellen gehört haben. Von der ersten Sekunde an, sind die Hunde sehr zutraulich und lieb. Einige sind ein bisschen wild und versuchen einen anzuspringen, was wir aber auch direkt unterdrücken sollen. Jeder Hund hat seine eigene kleine Hütte, an die er mit einer Kette festgebunden ist. Insgesamt sind es 21 Hunde. Außer Ulu, der Mama, gibt es noch den ersten Wurf mit Korra, Varrick, Julie und Mako, die alle 3 Jahre alt sind. Den zweiten Wurf mit Isiq, Havik, Uman, Aarlu, Aklak, Tasik, Siku, Ikuun, Pipsi und Taglu, die alle 1 Jahr alt sind und den bereits erwähnten dritten Wurf mit den 6 Welpen, die 5 Monate alt sind.
Nachdem wir die Hunde begrüßt haben, geht es zum Hühnerstall. Ein selbstgebauter Verschlag, mit einer Art Box an der Außenseite. Diese Box ist isoliert und hat einen Deckel, den wir nun öffnen und darin befinden sich tatsächlich sechs Hühner. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass Hühner diese Temperaturen überstehen, aber es scheint allen gut zu gehen. Wir füllen kurz das Wasser und Futter auf, sammeln die Eier ein, machen den Stall etwas sauber und lassen die Hühner dann auch wieder allein. Mit den bereits gefrorenen Eiern gehen wir zurück zu Kyliks Hütte, wo wir jetzt das Frühstück vorbereiten. Von Montag bis Freitag gibt es ein, naja nennen wir es mal „einfaches“ Frühstück. Haferflocken mit heißem Wasser. Dazu kann sich jeder nach Belieben Schokochips, Sirup, Zucker oder Marmelade in seine Haferflocken mixen. Yummy, da freut man sich doch direkt umso mehr auf die nächsten vier Wochen. Okay es gibt tatsächlich auch noch frische Äpfel, immerhin. Hier, soweit oben im Norden, ist es leider sehr teuer, sich einigermaßen gesund zu ernähren. Alle frischen Lebensmittel müssen eingeflogen werden. Da kostet 1kg Paprika dann auch mal 19$, ein Beutel TK Gemüse 25$ oder eine einzige Ananas 13$. Und so ist es hier mit allen Lebensmitteln. Trinkwasser ist teurer als Benzin, 4 Liter kosten 10$. Als wir uns eine Packung Cookies und eine Tüte Erdnüsse kaufen, sind wir auch gleich 20$ los. Das ganze Leben ist so viel teurer hier oben.
Nach unserem reichhaltigen Frühstück geht es um 9:00 Uhr dann los mit der Arbeit. Es ist immer noch komplett dunkel draußen. Unsere erste Aufgabe ist die „Poop Round“. Wir schnappen uns einen der schwarzen Schlitten, eine Schaufel und laufen durchs Camp, um Hundekacke einzusammeln. Auch hier bringen die Temperaturen und der Schnee einen deutlichen Vorteil. Durch die Dunkelheit verlieren wir öfters noch die Orientierung im Camp, aber es ist auch eine gute Möglichkeit mal ein bisschen umherzulaufen und das Camp kennenzulernen. Es besteht insgesamt aus 3 Holzhütten, einem großen unbewohntem Wohnwagen, 3 Zelten die als Lager dienen, 1 Greenhouse, 2 Tipis und einem ausrangierten Schulbus („Into the Wild“ lässt grüßen). Leicht erhöht, liegt das Camp auf einer Landzunge zwischen dem Fluss und einem See. Im Sommer gibt es unten am See einen kleinen Anleger, zu dem eine Treppe vom Camp aus runterführt. Die Vegetation besteht hauptsächlich aus Weiden und Nadelbäumen. Immerhin gibt es hier noch Bäume. Nur wenige Kilometer nördlich von uns befindet sich die Baumgrenze, von der aus es Richtung Norden kaum noch Vegetation gibt. Um 10:00 Uhr macht sich dann endlich ein bisschen Tageslicht erkennbar. Endlich können wir so langsam die Umgebung und den Aufbau des Camps besser überblicken. Zu dieser Jahreszeit gibt es allerdings schon jeden weiteren Tag 10 Minuten mehr Tageslicht. So richtig hell ist es dann um 11 Uhr. Nachdem wir fertig sind mit der Poop Round, sollen wir jetzt das erste Mal die Hunde füttern. Wir freuen uns, denn das ist eine super Chance die Hunde nochmal näher kennenzulernen. Vor allem müssen wir uns jetzt 21 Namen merken. Die Fütterung läuft so ab, dass wir die Hunde zuallererst „Sitz“ machen lassen. Wenn sie das tun, füllen wir den Napf an deren Hütte mit Hundefutter und etwas Wasser auf. Dabei müssen wir sicherstellen, dass die Hunde sitzen bleiben und brav abwarten. Wenn das Futter im Napf ist, warten wir in der Regel noch einen kurzen Moment und geben dann das Signal, dass sie jetzt essen dürfen. Das klappt bei den meisten Hunden auch schon richtig gut. Auch hier können wir wieder sehr schön die verschiedenen Charakterzüge der Hunde beobachten. Aklak z.B. (ein Junge aus dem zweiten Wurf) ist immer so aufgeregt, wenn wir mit Futter kommen, dass er am ganzen Körper zittert, wenn er dasitzt und auf das Kommando wartet. Man muss auch immer gut aufpassen, wenn man zu den Hunden geht, da einige immer noch sehr verspielt sind und gleich an einem hochspringen. Lara hat, dank Aarlu, gleich am ersten Tag eine blutige Nase bekommen, weil er ihr aus Versehen ins Gesicht gesprungen ist.
Nach der Fütterung gibt es eine kurze Pause zum Aufwärmen. Es sind -30°C und unsere Zehen und Finger frieren. Wir haben gefrorene Wimpern sowie Augenbrauen und die Kälte sticht auf unserer Haut im Gesicht. Wir fragen uns: Wie leben die Menschen hier eigentlich und kommen mit diesen Temperaturen zurecht? Bereits nach kurzer Zeit draußen, haben wir heute schon unsere Zehen und Finger gespürt. Es fühlt sich einfach so extrem kalt an, dass man sich teilweise kaum auf die Arbeit konzentrieren kann. Scheiße, wie sollen wir denn damit klarkommen?
Nach der kurzen Pause zum Aufwärmen geht es auch schon weiter mit der Arbeit. Die Sonne ist bereits aufgegangen, macht aber keinen Unterschied in der Temperatur. Kylik zeigt uns ein Tipi, das als Lagerraum für einige Lebensmittel wie Nudeln, Reis, Linsen und etwas Fleisch dient. Das Fleisch hängt teilweise immer noch im Ganzen in der Mitte des Tipis, ich sehe einen gefrorenen Biber, ein Kaninchen, ein paar Vögel und jede Menge Bisamratten. Um ehrlich zu sein, sieht es wirklich gruselig und verrückt zugleich aus. Okay, das ist das Leben hier, komm schon, du wirst dich daran gewöhnen, denke ich mir. Wir bekommen noch weitere kleine Aufgaben, die es bis zum Mittagessen zu erledigen gilt. Lara und Meggan haben die Aufgabe aus den leeren Hundefutterbeuteln ein Bild vom „Inukshuk“ (Steinformation) ausschneiden, weil Kylik damit ein Kunstprojekt machen möchte. Die Steinformation „Inukshuk“ hat eine besondere Bedeutung für die Inuits. Das Wort „Inukshuk“ bedeutet „in der Gestalt eines Menschen“. Seit Generationen erschaffen Inuit diese beeindruckenden Steinformationen in der arktischen Landschaft. Inukshuks erfüllen mehrere Funktionen, darunter das Leiten von Reisenden und Jägern, die Warnung vor Gefahren und die Markierung von wichtigen Orten.
So langsam nähert sich auch das Mittagessen. Da Sophie, die sonst viel das Kochen und Abwaschen übernimmt, momentan nicht da ist, müssen wir uns darum kümmern. Ich melde mich freiwillig zum Kochen. Gut, vielleicht auch, weil es draußen scheiße kalt ist und ich dann in der warmen Hütte sein kann. In der Küche muss ich mir erstmal einen Überblick verschaffen. Wie bereits erwähnt strotzt die Küche nicht gerade vor Sauberkeit und auch nicht vor Ordnung. Überall steht oder hängt irgendwas. Gewürze sind überall im Schrank verteilt und sowieso gibt es keine Ordnung. Die Nahrungsmittel sind unterdessen entweder im Schrank oder Kühlschrank in der Hütte oder auf der Veranda der Hütte oder im Tipi. Naja und so wirklich, was wir überhaupt so haben und wo was ist, weiß anscheinend niemand. Ich entdecke im Kühlschrank ein paar frische Karotten und auf der Veranda eine Tüte mit TK Gemüse. Super denke ich, zu mindestens etwas Gemüse. Mit bisschen Soja Sauce und Ei (von unseren eigenen Hühnern) gibt das schönen gebratenen Reis. Die Anderen sind sehr happy über das Essen und sagen, dass es das erste Mal seit zwei Wochen ist, dass mal jemand so ein richtiges Gericht mit Gewürzen usw. kocht. Man kann sich das Leben halt auch selber schwer machen, denke ich und bin froh, dass es also in unserer Hand liegt, was wir essen werden und dass wir dann auch z.B. mit Gemüse kochen können. Die Befürchtung von gestern Abend bewahrheitet sich also nicht, puuh! Dennoch sollte uns das Thema Nahrungsaufnahme noch mehr beschäftigen in den nächsten Wochen, als wir uns jetzt vorstellen.
Am Nachmittag geht es endlich los mit dem, weswegen wir hier hochgekommen sind, Hundeschlitten fahren. Da wir noch keinerlei Erfahrung damit haben, sollen wir heute erstmal nur helfen, die Hunde vorzubereiten und an den Schlitten zu binden. Kylik, Manu, Meggan und Matheo fahren jeweils mit einem Team und einem Schlitten los in das, an das Camp angrenzende, Waldstück. Dort hat Kylik in den letzten Wochen einen Trail angelegt, um dort mit den Hunden zu trainieren. Lara und Ich sollen uns Schneeschuhe anziehen und den anderen hinterherlaufen, um einen ersten Eindruck vom Hundeschlittenfahren zu bekommen und gleichzeitig sollen wir mit den Schneeschuhen am Rande des Trails laufen, um den Schnee dort weiter runterzudrücken und zu festigen. Die Schneeschuhe sind für uns auch eine neue Erfahrung und wir stellen relativ schnell fest, dass das sehr anstrengend ist damit zu laufen. Die Landschaft hier ist ganz anders als das, was wir bisher gesehen haben. Der Himmel ist strahlend blau. Der Schnee glitzert im Licht der Sonne, die langsam den Himmel in etlichen Rottönen erstrahlen lässt. Wir beobachten die Anderen, wie sie mit den Hundeschlitten durch den Wald fahren. Wir können uns kaum vorstellen, in den nächsten Tagen selbst auf einem dieser Schlitten zu stehen. Da wir mit den Schneeschuhen sehr langsam sind, fahren die Anderen irgendwann schonmal wieder zurück zum Camp. Als wir ankommen, sind die meisten Hunde schon wieder angebunden an ihrer Hütte. Lara und Meggan kümmern sich um die Fütterung der Hunde, während Matheo und ich, aus Holzresten und einem alten Bettgestell, ein weiteres Hochbett in unsere Hütte bauen. Es war Matheos Idee und er sprach gestern Abend bereits davon, dass er den Plan hat, noch ein Bett zu bauen. Matheo ist auch ein unglaubliches Energiebündel und möchte sein Projekt unbedingt noch vollenden heute. Und das schaffen wir auch. In einem der Lagerzelte finden wir noch zwei Isomatten und ein Stück Schaumstoff, dass als Matratze dienen soll. Wir werden heute also in einem „richtigen“ Bett schlafen. Naja, alles ist besser als die Feldbetten. Später gibt es noch Abendessen und anschließend sitzen wir gemeinsam in unserer Hütte und quatschen bis wir ins Bett gehen.
Und wieder kommt ein Gedanke in uns hoch: Was haben wir uns nur dabei gedacht? Vier Wochen in selbstgebauten Holzhütten in einem Waldstück irgendwo in der Arktis zu leben. Ich denke, wir waren einfach auf der Suche nach einem Abenteuer. Wir wollen ein richtiges kanadisches Winterabenteuer bestreiten und nicht bei +5°C und Regen in Vancouver versauern. Dieses Abenteuer haben wir nun auch bekommen.
Überleben - Nahrung, Wasser, Wärme
Wir wollen erfahren, wie es ist, wenn man den Großteil des Tages mit den Grundbedürfnissen, wie Essen, Trinken und Wärme beschäftigt ist. Wie fühlt es sich an mit 21 Schlittenhunden zusammenzuleben? Wie fühlt es sich an, abgeschieden von der Außenwelt zu leben? Wie fühlen sich diese Temperaturen an? Wie lebt es sich in einem Gefrierschrank? Für uns ist es eine „Once-in-a-Lifetime-Erfahrung“ und am Ende unseres Abenteuers, werden wir vielleicht auch sagen, dass es eine einmalige Erfahrung bleiben soll. Dazu später mehr.
Wir müssen uns hier oben im Norden, 300 km nördlich des Polarkreises, einigen neuen Herausforderungen stellen. Ein großer Faktor, der das Leben in der Arktis massiv beeinflusst, ist natürlich die Kälte. Das Kälteste, was wir hier erleben, ist -40°C. Der Durchschnitt liegt wahrscheinlich irgendwo bei -25°C. Es ist eine Kälte, die wir so vorher noch nie in unserem Leben erfahren haben. Und es ist spannend zu sehen, wie sehr die Kälte das Leben beeinflusst, aber auch dass es möglich ist hier einigermaßen normal zu leben.
Hier oben geht es nicht hauptsächlich darum, sich ein schönes Leben zu machen. Hier geht es tatsächlich ums Überleben. Du musst arbeiten, damit du überlebst.
Zum Überleben benötigt man vor Allem drei Dinge: Nahrung, Wasser und Wärme. Die Nahrung beziehen wir tatsächlich hauptsächlich bis ausschließlich aus dem Supermarkt. Ja richtig, wir hatten es auch etwas anders erwartet. Uns wurde vorab erzählt, dass man sich hier von viel selbst gejagtem Fleisch ernähren würde. Aber selbst das Fleisch, was wir hier essen, kommt aus dem Supermarkt. Auch wenn, wie bereits erwähnt, das Tipi voll hängt mit Tieren. Wieso wir nicht das selbst gejagte Fleisch essen, wird uns nie wirklich erklärt. Etwa einmal die Woche fährt Kylik in die Stadt, um Besorgungen zu erledigen. Dazu gehört vor Allem unser Proviant, aber auch Baumaterialien, Werkzeuge oder Treibstoff. Unsere Wasserbeschaffung ist da schon deutlich spannender. Denn eine Wasserleitung gibt es hier nicht. Etwa alle 4-6 Tage, je nach Verbrauch, müssen wir unseren Wasservorrat wieder auffüllen. Dazu gehen wir mit unseren Wasserkanistern zum zugefrorenen Fluss. Auf dem Weg dahin, fühlen wir uns wie auf einem anderen Planeten. Mit den dicken Winterklamotten fühlt man sich sogar ein ganz bisschen wie ein Astronaut, der auf einem menschenleeren Planeten rumläuft. Es ist noch dunkel und daher sieht man, wieder einmal, nicht viel von der Umgebung. Die Welpen kommen bei solchen Ausflügen immer gerne mit. Wenn sie dann vorweg laufen und sich umdrehen, sieht man wieder nur ein paar Augenpaare in der Dunkelheit leuchten. Es ist irgendwie unheimlich und doch so schön zu gleich. Neben der Ice Road haben wir ein, bereits vorbereitetes, Loch im Eis. Ein Stock im Schnee markiert die Stelle, an der sich das etwa 1,5×1,5m große Loch befindet. Wir müssen Schnee schaufeln, zwei Schlafsäcke und eine Isolierfolie entfernen, um an einen dicken Holzdeckel zu gelangen, der das Loch bedeckt. Es ist wichtig, das Eisloch so eisfrei wie möglich zu halten, damit man sich nicht immer wieder durch eine meterdicke Eisschicht kämpfen muss. Nachdem wir den Holzdeckel entfernen, stehen wir also vor dem offenen Eisloch. Naja, so richtig offen ist es nie. Je nach Temperatur bildet sich, trotz der Isolierung, eine mal dickere und mal dünnere Eisschicht. Um diese zu durchbrechen, stemmen wir, mit Hilfe einem langen Meißel, zwei Löcher auf und sägen dann von dort an den Kanten entlang. Bei den Sägen handelt es sich um sehr grobzackige lange Eissägen. Ist das geschafft, entfernen wir das Eis von der Wasseroberfläche, knien uns neben das Loch und füllen die Wasserkanister auf, indem wir sie in das knapp über 0°C kalte Wasser tauchen. Ob das kalt ist? Und wie! Arschkalt! Die vermeintlich wasserdichten Handschuhe haben mittlerweile kleine Risse und wenn man mal, in einem Moment der Unachtsamkeit, die Hand zu weit ins Wasser steckt, kommt auch schon mal ein ganzer Schwall eiskaltes Wasser in den Handschuh. Wir haben ca. 15 Wasserkanister, die jeweils etwa 20 Liter fassen. Das bedeutet auch, dass wir 15 mal 20 kg aus dem Wasser heben und auf den Schlitten hinter dem Schneemobil laden. Während man dort neben dem Wasserloch kniet, auf einer leicht abschüssigen Fläche, die sich jedes Mal nach einigen Wasserspritzern in eine Eisfläche verwandelt, denkt man auch schon mal darüber nach, was passieren würde, wenn man in dieses dunkle, eiskalte Loch fällt. Es gilt, seine komplette Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, das Gleichgewicht zu halten und bloß nicht ins Rutschen zu geraten. Denn sollte man abrutschen, gibt es auch keine wirkliche Möglichkeit sich festzuhalten, denn um uns herum ist nichts als Schnee und Eis. Sobald alle Kanister gefüllt und aufgeladen sind, fahren wir sie mit dem Schneemobil zurück zum Camp. Es passiert auch schon mal, dass beim Transport der ein oder andere Kanister umkippt und ausläuft. In einem „normalen Leben“ mit leichtem Zugang zu Wasser, wäre das gar nicht so schlimm. Ist ja schließlich nur Wasser. Hier allerdings bedeutet das, dass unser Wasservorrat geringer ist und wir somit eventuell wieder ein bis zwei Tage früher, wieder Wasser holen müssen. Im Camp müssen, die bereits vereisten, Wasserkanister dann in unsere warme Hütte gebracht werden. Die ganze Aktion dauert gut und gerne mal 2-3 Stunden. Es ist ein enormer Aufwand, den wir betreiben müssen. Wir werden das auch bestimmt nicht vermissen. Aber für uns ist es mal eine ganz neue Erfahrung, dass man jeden Schluck Wasser so wertschätzt. Wenn man mal jemanden Wasser verschwenden sieht, möchte man am liebsten gleich ausrasten, weil man weiß, wieviel Arbeit hinter diesem Schluck Wasser steckt. Es ist mit dem Wasser und der Wärme hier ganz ähnlich. In unserem bisherigen Leben war Wasser und Wärme immer auf „Knopfdruck“ verfügbar. Du willst es warm haben? Na dann dreh einfach an dem Regler der Heizung! Du hast Durst? Dann dreh den Wasserhahn auf! Du willst dich waschen? Geh doch einfach unter die Dusche! Du brauchst Wasser? Ein gefühlt endloser Vorrat an Wasser kommt aus der Leitung. Uns wird erneut bewusst, wie privilegiert wir aufwachsen durften. Es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, die ohne dieses Privileg leben müssen. Menschen, die für eine solche Erfahrung, nicht erst in die Arktis reisen müssen. Und um ehrlich zu sein, können wir uns hier in der Arktis noch glücklich schätzen, da wir immerhin Zugang zu viel und sauberem Wasser haben. Nichtsdestotrotz sollten wir uns zu Hause öfter mal Bewusst machen, dass es eins der größten Privilegien auf dieser Welt ist, sauberes Trinkwasser aus dem Wasserhahn zu bekommen. Lasst uns aufhören Wasser als selbstverständlich anzusehen! Lasst uns bewusst werden darüber, dass unser Lebensstandard in Mitteleuropa, alles andere als normal ist im weltweiten Vergleich. Wir haben auch noch nie in unserem Leben, einen warmen Ofen so wertgeschätzt, wie wir es hier tun. Vor allem wenn du nach ein paar Stunden Holzbeschaffung bei -30°C zurück aus dem Wald in deine Hütte kommst, den Ofen anfeuerst und dich zum Auftauen an den warmen Ofen setzt. Es ist sowieso schon hart bei diesen Temperaturen draußen zu arbeiten. Dein Körper nutzt die meiste Energie, um gegen die Kälte anzukommen. Der Kopf ist damit beschäftigt die frierenden Finger- und Zehenspitzen zu ignorieren. Egal wie dick man angezogen ist, irgendwann helfen die Klamotten dann auch nicht mehr weiter. Und sowieso ist die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt durch die Klamotten. So stapft man also wie ein Michelin Männchen durch hüfthohen Tiefschnee, um dort liegende Bäume zu entasten und in „handliche“ 2 Meter Stücke zu sägen. Anschließend tragen wir sie per Hand zum nahegelegenen Weg, um sie dort auf den Schlitten vom Schneemobil zu laden und zurück zum Camp zu fahren. Mit dem Tiefschnee ist es auch so eine Sache. Man kann nie sehen, wie tief der Schnee wirklich ist. Dazu kommt, dass man oft ein paar Schritte auf der Oberfläche machen kann und dann auf einmal beim nächsten Schritt bis zur Hüfte einsackt und im Schnee steckt. Du weißt nie, wie der nächste Schritt wird. Wenn man dabei mal das Gleichgewicht verliert und hinfällt, kann man froh sein, wenn irgendwas in der Nähe ist, woran man sich wieder hochziehen kann. Ich habe da auch so meine Erfahrung gemacht. Man fällt hin und will sich, aus Reflex, aufstützen um aufzustehen. Dabei sinkt der Arm dann plötzlich etwa genauso tief ein, wie die Beine. Es fühlt sich an, als sein man in einem Moor gefangen. Am Ende hilft es dann meistens nur, ein paar Meter auf dem Bauch zu robben, um zum nächsten Baum zu gelangen und sich hochzuziehen. Und das alles, wo die Energiereserven sowieso schon schnell aufgebraucht sind. Ich merke, wie viel schwerer es mir hier fällt einen Baumstamm anzuheben. Wie bereits gesagt, alles hier oben ist schwerer und anstrengender. Sobald wir die Holzstämme in das Camp verbracht haben, müssen diese noch in kleine Stücke gesägt und gehackt werden. Dann stapeln wir sie auf Vorratsstapeln, um alle paar Tage den Holzvorrat in den Hütten aufzufüllen. So viel Arbeit, um es am Ende dann warm zu haben. Es ist auch verrückt, wenn du den Ofen anfeuern musst und der Druck in dir steigt, dass du erfolgreich bist. Denn ohne das Feuer ist ein Überleben schlichtweg nicht möglich. Meine Erfahrung mit Feuer machen beschränkt sich eher auf reine „Komfort-Feuer“. Hier? Pures Überleben! Bekomme ich jetzt das Feuer nicht an, wird es ganz bald, ziemlich kalt hier. Und wenn es mal passiert, dass du mitten in der Nacht wach wirst, weil der Ofen ausgegangen ist und es schon ziemlich kalt in der Hütte ist. Du dann aus deinem, noch warmen, Schlafsack raus musst in die Kälte und zitternd vor dem Ofen hockst und das scheiß Feuer nicht so will, wie du es willst. Ui… das ist Druck. Jede Minute wird es immer kälter, du bist halb verschlafen und kannst kaum klar denken und dann bekommst du dieses Feuer einfach nicht an. Meistens hilft es dann, sich die dicken Klamotten anzuziehen, einmal tief durchatmen und es weiter versuchen. Irgendwann bekommt man es dann doch immer an. Die Öfen sind teilweise selbst gebaut und schwer zu regulieren. Manchmal endet man mit einer Sauna in der Hütte. Da wir in Hochbetten schlafen und sich die Wärme unter der Decke staut, können wir teilweise nicht schlafen, weil es so warm ist. Da hilft nur, Tür auf und kalte Luft reinströmen lassen. Das Problem ist, dass man immer versucht den Ofen möglichst voll zu laden, damit man eben nicht unbedingt nachts raus muss, um Holz nachzulegen. Ist das Holz aber schon sehr trocken oder man erwischt mal ein falsches Scheit, verbrennt das sehr schnell und gibt schnell viel Wärme ab. Eine weitere Regel, die man befolgen sollte, ist, dass man sofort aufsteht und Holz nachlegt, wenn man wach wird und merkt, dass es abkühlt in der Hütte. Auch wenn man sich überwinden muss, aber ohne, dass man etwas macht, wird es auch nicht wärmer. Und wenn man früher aufsteht, hat man meistens das Glück, dass man einfach ein Scheit nachwerfen kann. Später muss man dann, wie bereits beschrieben, ein neues Feuer starten.
Die meiste Zeit des Tages, sind wir also damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. Zu den weiteren Aufgaben zählen kleine Reparatur Arbeiten, Aufräumarbeiten, Kochen, Abwaschen und natürlich auch die Hundepflege und das Training mit den Hunden. Letzteres ist, natürlich, unsere Lieblingsaufgabe und einer der Hauptgründe, warum wir hier hochgekommen sind.
Dog Sledding
Hundeschlittenfahren ist an sich keine schwierige Sache. Generell machen die Hunde die meiste Arbeit. Die Kunst ist es, den Hunden die richtigen Kommandos zu geben und diese darauf zu trainieren. Da das Training mit den Hunden hier erst vor ein paar Monaten begonnen hat, ist das teilweise noch sehr schwierig. Vier Kommandos sind hierbei am wichtigsten: Hike! = „los“ oder „schneller“. Gee! = „nach rechts“. Haw! = „nach links“ und Whoa! = „Stopp“. Eine der wichtigsten Regeln beim Hundeschlittenfahren, niemals den Schlitten loslassen. Ich habe diese Regel leider das ein oder andere Mal unterschätzt und wenn man dasteht und die Hunde ohne einen loslaufen und man sie nicht zum Stoppen bewegen kann, ist das schon ein ziemlich hilfloses Gefühl. Glücklicherweise passiert mir das hauptsächlich auf dem Roundtrail auf dem See, so dass ich einfach nur warten muss, bis die Hunde wieder an mir vorbeikommen, um sie dann zum Anhalten zu bewegen. Meistens fahren wir mit mehreren Teams, also mehreren Schlitten los. Es gibt noch viele weitere Begriffe und Dinge, die man hier über das Schlittenfahren erklären könnte. Um diesen Text aber nicht zu einer theoretischen Hundeschlitten Lehrstunde verkommen zu lassen, möchte ich mich auf die Gefühle und Erfahrungen konzentrieren. Es ist wild. Vor allem vor dem Start, bzw. bei der Vorbereitung. In der Regel lassen wir die Hunde vor dem Start eine halbe bis dreiviertel Stunde frei rumlaufen. Die Hunde können in dieser Zeit machen was sie wollen und einfach Hund sein. Es ist schön zu sehen, dass sie hier diese Freiheit genießen können, denn den restlichen Tag ist jeder Hund an einer Kette an seinem eigenen Häuschen festgebunden. Manchmal machen wir auch die Hunde los und machen mit ihnen einen Spaziergang im Wald. Sobald man den ersten Hund los macht, steigt die Aufregung unter den Hunden. Es wird gebellt, gejault, gesprungen und an den Ketten gezerrt. Alle wissen Bescheid, es geht gleich los. Gleich können wir toben, spielen und schnüffeln. Nachdem sich dann die erste Aufregung gelegt hat und die Hunde ihren Freilauf hatten, nehmen wir ein paar von ihnen mit in unsere Hütte und ziehen ihnen kleine Socken über die Pfoten. Das Problem ist, dass der Schnee und das Eis, über das sie laufen, sich teilweise in die Pfoten drückt und dort zu schmerzhaften Verletzungen führen kann. Um dem vorzubeugen, werden ihnen die Socken angezogen. Sind wir damit fertig, bekommt jeder Hund ein Geschirr und kommt an seine entsprechende Position an den richtigen Schlitten. Es ist tatsächlich wichtig, dass die Hunde, je nach ihrer Fähigkeit, eine bestimmte Position im Schlittenteam haben. Es gibt z.B. die Leader, die ganz vorne laufen und den Weg und die Geschwindigkeit vorgeben. Auch die weiteren Positionen haben eine bestimmte Aufgabe im Team. Sind alle Hunde am Schlitten fest, kann es losgehen. Die meisten Hunde sind zu diesem Zeitpunkt wieder sehr aufgeregt. Es wird wieder gebellt, gejault und teilweise in die Luft gesprungen. Sie zerren an ihrem Geschirr und am Schlitten und wollen endlich los. Dann ist es so weit. Man steigt auf den Schlitten, tritt auf die Bremse, die sich zwischen den Kufen befindet auf den man steht und zieht den Anker aus dem Schnee (der Anker ist mit einem Tau am Schlitten befestigt und greift in den Schnee, so dass der Schlitten sich nicht bewegen kann. Bei jedem Stopp ist es essenziell, diesen Anker in den Schnee zu treten.). Nun gibt man den Hunden das Kommando „Readyyyy – Hike“ und nimmt langsam den Druck von der Bremse. Und es geht los. Dies ist der Moment, wo die wichtigste Regel beim Hundeschlittenfahren umso wichtiger wird. Die Hunde zerren am Schlitten und mit einem kräftigen Ruck setzt sich dieser in Bewegung. Wenn wir aus dem Camp losfahren erwartet uns als allererstes eine enge Rechtskurve, nach der es dann direkt bergab auf den See geht. Der Puls rast, das Adrenalin steigt und man denkt nur „Bloß nicht runterfallen, bloß nicht runterfallen“. Hat man diese erste Schikane überstanden geht es auf dem flachen Terrain des Sees weiter. Der Stress lässt nach, die Hunde hören auf zu bellen und dann ist da nur noch das Geräusch der Kufen, die über den Schnee gleiten und der eiskalte Wind, der einem um die Ohren pfeift. Die Hunde finden, je nach Temperatur, ihre eigene Wohlfühlgeschwindigkeit und nun muss man nur noch aufpassen, dass man bei Abzweigungen den richtigen Weg einschlägt. Man sollte aber auch stets ein Auge auf sein Team haben. Haben sich Hunde in der Leine verheddert? Ziehen alle Hunde gleichmäßig? Laufen alle Hunde vernünftig mit und sind konzentriert? Manchmal muss man anhalten, um die Leinen wieder richtig zu ordnen oder die Positionen der Hunde zu ändern. Aber wenn es gut läuft, kann man nun auch erstmal die Fahrt genießen. Ehrlich gesagt, es ist der Wahnsinn. Die Sonne steht am Nachmittag nur knapp überm Horizont. Der Himmel strahlt in roten Farbtönen. Nadelbäume und schneebedeckte Hügel dominieren die Landschaft. Die Sonne bricht teilweise durch die Bäume und sorgt für ein atemberaubendes Lichtspektakel. Und es ist so ruhig. Ein unbeschreibliches Gefühl. Es gibt vom Camp aus zwei Trails, die wir fahren können. Einen kurzen Round-Trail auf dem See, direkt neben dem Camp und einen längeren Trail, der sich über mehrere Seen und zwei kleine Hügel kilometerweit in die Landschaft zieht. Wir fahren oft den langen Trail, um die Hunde auf eine längere Strecke zu trainieren. Bei einer Fahrt auf dem langen Trail, wo Ich hinten auf dem Schlitten stehe und Lara, dick eingepackt, vorne auf dem Schlitten sitzt, sage ich zu ihr „Wie unfassbar ist das bitte, dass wir gerade nur zu zweit mit einem eigenen Hundeschlittenteam hier im Sonnenuntergang durch die Arktis fahren?“ Und das ist genau das Besondere. Es ist nicht „nur“ eine Hundeschlittentour, wo wir viel Geld dafür bezahlt haben, um ein paar Stunden in einem Schlitten zu fahren. Nein. Wir sind hier selber verantwortlich für das Team. Wir leben mit diesen Hunden, füttern sie, kuscheln mit ihnen, spielen mit ihnen und trainieren sie. Wir lernen die unterschiedlichen Charaktere der Hunde kennen und ihre Stärken und Schwächen. Mal fahren wir zu zweit auf einem Schlitten und manchmal fahren wir jeder mit unserem eigenen Schlitten. Je nachdem, wie wir die Hunde trainieren wollen. Der lange Trail gefällt uns deutlich besser. Es ist dieses Gefühl, als sei man auf einer Expedition. Wir fahren vom Camp aus, über den ersten See, vorbei an der ersten Abzweigung, an der wir mit dem Kommando „Gee“ die Hunde dazu bewegen, den rechten Weg zu nehmen.
Die Hunde erkennen den Weg übrigens dadurch, dass der Schnee auf dem Trail dicht gepackt ist, während seitlich des etwa 1,5m breiten Trails, Tiefschnee ist. Die Hunde merken den Unterschied und bleiben so auf dem Trail. Deswegen ist es auch wichtig, den Trail in Stand zu halten, in dem wir regelmäßig mit dem Schneemobil und einem beladenen Schlitten den Trail abfahren um den Schnee immer wieder runter zu drücken und zu verdichten.
Während man den ersten Adrenalinschub langsam verdaut, schaut man nochmal zurück zum Camp, von dem man sich immer weiter entfernt. Es geht um die nächste Kurve und dann ist man auch schon komplett alleine. Um uns herum nichts, kein Anzeichen menschlichen Lebens. Wir sind jetzt also ganz auf uns alleine gestellt. Es ist schon etwas angsteinflößend. Die Hunde ziehen weiter am Schlitten. Es geht einen kleinen Hügel hinauf um durch ein Waldstück zum nächsten See zu gelangen. Langsam merkt man, dass die Hunde weniger Energie haben und man nicht mehr ganz so schnell unterwegs ist. Irgendwann, nach etwa einer Stunde, kommen wir dann am letzten See an. Ein Round Trail führt uns einmal am äußersten Rand des Sees entlang und dann geht es wieder zurück. Es ist kalt. Wir tragen extra dicke Handschuhe, die wir nur zum Schlittenfahren benutzen. Trotzdem spürt man die Kälte nach einer Weile an den Fingerspitzen. Der Fahrtwind lässt es noch mal kälter erscheinen. Als wir zum ersten Mal diesen Trail fahren, kenne ich die Strecke noch nicht gut und bin froh, dass die Hunde den Weg finden. Auf dem Rückweg denke ich mehrmals „Hinter der nächsten Ecke müsste ich endlich das Camp sehen“. Und ich liege mehrmals falsch. Ich zweifle langsam daran, ob dies der richtige Weg ist. Zu diesem Zeitpunkt bin ich ganz allein auf dem Schlitten. Und alle anderen sind mit ihren Schlitten so weit voraus, dass ich sie bereits seit Längerem nicht mehr sehe. Allein, mitten in der Arktis, mit 8 Hunden, bei -30°C. Ein mulmiges Gefühl kommt auf. Ich denke daran, dass wenn ich jetzt die wichtigste Regel missachte und vom Schlitten falle, wäre ich ganz auf mich allein gestellt. Die Hunde würden wahrscheinlich nicht anhalten und einfach allein weiterlaufen. Dann müsste ich den ganzen Weg, durch den Schnee, wieder zurücklaufen. Wenn ich den Weg denn überhaupt finde. Ich versuche mich, mit meinen mittlerweile durchgefrorenen Händen, so fest es geht an den Griff vom Schlitten zu klammern. Immer wieder muss ich jedoch eine Hand loslassen um verzweifelt zu versuchen mir den Schal wieder über die Nase zu ziehen. Meine Nase brennt. Der Schal, der durch den kalten Fahrtwind und mein Atem, komplett steif gefroren und mit einer Eisschicht bedeck ist, hält einfach nicht mehr gut auf der Nase. Dadurch ist sie immer wieder dem kalten Wind ausgesetzt und ich merke wie sich langsam ein ganz leichter Gefrierbrand entwickelt. Jede Kurve, um die mich die Hunde ziehen, denke ich „bitte nicht fallen“. Dann ist es aber endlich so weit. Wir kommen um eine Ecke und da hinten kann ich es endlich sehen. Auf der anderen Seite des Sees, sehe ich die Holzhütten und die Tipis des Camps. Die Sonne ist mittlerweile untergangen, doch dank der sehr langen Dämmerungsphase ist es noch hell. Ich sehe den Rauch der Kaminöfen von den Hütten aufsteigen und sehne mich nach der Wärme. Mittlerweile sind meine Füße eiskalt, die Fingerspitzen spüre ich kaum noch und von der Nasenspitze ganz zu schweigen. Eine weitere Rechtskurve, dann noch mal den See überqueren und es ist geschafft. Wir sind zurück im Camp. Die Hunde sind platt. Sie legen sich teilweise, noch am Schlitten befestigt, direkt in den Schnee. Meine Wimpern, die Augenbrauen und mein Bart sind komplett eingefroren und voller Eiskristalle. Auch wenn ich mir so sehr wünsche, jetzt einfach in die Hütte zu gehen, um mich vor dem warmen Ofen aufzuwärmen, kommt jetzt noch ein sehr wichtiger Teil des Hundeschlittenfahrens. Ich gehe zu jedem einzelnen Hund, streichle ihn, lobe ihn und bedanke mich für seinen Einsatz. Es ist wichtig den Hunden zu zeigen, dass man ihre Mühe wertschätzt. Die Hunde wirken, wenn auch sehr müde, äußerst glücklich. Jeder Hund kommt wieder an seine Hütte, bekommt eine Handvoll Leckerlies und darf nun seine Ruhe genießen. Auch ich bekomme nun endlich wieder eine Pause und vor allem ein paar Minuten vor dem warmen Ofen. Wir wissen, dass das Thema Hundeschlitten sehr kontrovers diskutiert wird und dass es viele unterschiedliche Meinungen darüber gibt, ob es gut oder schlecht für die Hunde ist. Unser Eindruck ist, dass die Hunde wirklich bock haben. Sie wollen sich auspowern. Wenn wir zurück ins Camp kommen, kann man sehen, wie zufrieden und völlig platt die Hunde vor oder in ihren Hütten liegen. Wir sind keine Hundeexperten, aber die Aufregung vor dem Start und die Körpersprache lassen uns darauf schließen, dass es den Hunden guttut. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch einige Argumente, die gegen Hundeschlittenfahren sprechen. Oft werden Schlittenhunde den ganzen Tag an kurzen Ketten gehalten, von denen sie nur los kommen um vor den Schlitten gespannt zu werden. Die Hunde hier im Camp bekommen immerhin mind. einmal am Tag etwas Freiheit und können Dinge tun, die Hunde nun mal machen wollen. Rumspielen, interagieren mit anderen Hunden usw.. Aber bei vielen anderen Schlittenhundehaltern/Fahrern (engl. Musher) gibt es diese Freiheiten nicht. Die Hunde werden als reine Arbeitstiere gehalten. Generell finden wir es nicht gut, wenn Tiere für den sportlichen Erfolg von Menschen ausgenutzt und an ihr Maximum getrimmt werden. Nicht nur bei Hundeschlittenrennen, sondern auch anderen Sportarten wie Pferderennen usw.. Früher waren Schlittenhunde in dieser Region ein existenzielles Mittel, um von A nach B zu kommen oder gewisse Arbeiten zu verrichten. Heutzutage ist es fast ausschließlich zu touristischen Zwecken oder für Wettkämpfe. Bei vielen Wettkämpfen sterben auch nach wie vor jedes Jahr Hunde, weil sie den harten, zum Teil von Menschen gemachten, Bedingungen nicht gewachsen sind. Wie gesagt, es ist ein sehr kontroverses Thema, aber wir sind doch froh, diese Erfahrung zu machen, um uns ein eigenes Bild davon machen zu können.
Polarlichter
Die Zeit im Bushcamp beschert uns einige einzigartige und atemberaubende Momente und wir lernen unheimlich viel. Ganz oben auf der Liste der einzigartigen Momente stehen die Polarlichter. Was soll man dazu sagen? Ein Traum von vielen Menschen, einmal im Leben die Polarlichter zu sehen und wir bekommen die Chance in der kanadischen Arktis. Es ist (wiedereinmal) atemberaubend, spektakulär und einfach nur wunderschön. Wir sind nun schon bereits über eine Woche hier im Camp und jeden Abend schauen wir in einer App, wie hoch die Wahrscheinlichkeit in der Nacht ist. Leider kann man Polarlichter nur sehr schwer vorhersagen und somit ist das beste Mittel, regelmäßig nach draußen zu schauen. Tagelang passiert aber nichts. Keine Polarlichter. Wir machen uns allerdings noch keine großen Sorgen, da wir ja noch einige Tage haben um die Polarlichter zu sehen. Eines Abends liegen wir alle schon im Bett. Auf einmal geht die Tür einen Spalt auf und Kylik ruft rein „Lights are out“. Er schließt die Tür sofort wieder und wir gucken uns alle verdutzt an. Was meint er damit? Welche Lichter sind aus? Bei uns in der Hütte sind die Lichter aus, aber wieso sollte das ein Problem sein? Und dann verstehen wir endlich. Er meint, dass die Polarlichter draußen sind. Aaahhh. Hastig ziehen wir uns alle an und stürmen vor die Tür. Da wir schnell sein wollen, ziehen wir auch nur das nötigste an. Und da, ein leichter grüner Schimmer am Himmel. Es wirkt erst wie ein heller Wolkenstreifen, doch dann lassen sich immer mehr die grünen Wellen der Lichter erahnen. Über unsere Kameras sieht man sie noch viel deutlicher. Das Ding mit Polarlichtern ist, dass man sie beobachten muss. Polarlichter verändern sich teilweise schnell und ziehen am Himmel von einer Seite zur anderen. Und das tun sie auch. Umso länger wir hier stehen und in den Himmel blicken, desto intensiver und schöner werden sie. Was anfangs ein grüner Schimmer ist, sind nun verschiedene Lichtvorhänge in Grün- und Lilatönen. Es ist unbeschreiblich. Wir gehen runter auf den See um sie dort noch besser beobachten zu können. Ich weiß gar nicht genau was ich dazu sagen soll, außer „WOW!!!“. Selbst der Schnee reflektiert das Licht der Polarlichter und schimmert grün. Wir gucken hoch zum Camp, wo die Tipis und die Holzhütten, aus denen weißer Rauch aufsteigt, stehen und denken „das ist das perfekte Setting, um Polarlichter zu sehen“. Nach einer Weile wird uns dann kalt und wir gehen wieder rein in unsere Hütte. Voller Freude und Aufregung legen wir uns ins Bett und schlafen bald darauf ein. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass wir hier Polarlichter sehen. Die Tage darauf haben wir viel Glück und können noch häufiger welche beobachten. Jedes Mal sehen sie anders aus, jedes Mal verhalten sie sich anders und jedes Mal löst es in uns ein ganz anderes Gefühl aus. Das allerschönste Polarlichterlebnis haben wir allerdings kurz vor unserer Abreise. Es ist der vorletzte Abend im Camp. Mittlerweile sind Matheo und Meggan abgereist und dafür Pip, aus Neuseeland, und Anna, aus Deutschland, ins Camp gezogen. Wir machen alle zusammen in unserer Hütte einen Filmabend. Wobei man kurz erwähnen muss, dass Lara und Ich mittlerweile nicht mehr in der Hütte leben. Ein kurzer Einschub dazu: Es gab, außer den beiden bereits erwähnten großen Holzhütten, noch eine weitere kleine Hütte, für maximal zwei Personen. Anfangs hieß es, die Hütte sei aus irgendwelchen Gründen nicht bewohnbar. 1,5 Wochen vor unserer Abreise sagt Kylik dann aber doch, dass wir die Hütte mal aufräumen und wieder bewohnbar machen sollen. Er sagt zu Lara und mir, wenn wir das machen, können wir da auch gerne einziehen. Es ist wieder mal eins der Dinge, über die wir nicht ganz glücklich sind. Denn erst heißt es, die Hütte ist nicht bewohnbar, weil der Ofen kaputt sei und die Hütte einige Löcher hat. Dann auf einmal, auch weil sie nach uns noch mehr Freiwillige erwarten, können wir die Hütte doch wieder auf Vordermann bringen. Der Ofen sei nun auch nicht kaputt, sondern nur hart zu bedienen. Und Lara und mir würde Kylik das nun mittlerweile zutrauen mit dem Ofen zurecht zu kommen. Naja, wie auch immer. Lara und ich freunden uns recht schnell mit der Idee an, eine eigene Hütte ganz für uns zu haben. Die Hütte ist wirklich sehr klein. Ich schätze wir reden hier über 9-10 qm mit einem Hochbett. Vor dem Winter hat Kyliks ehemalige Partnerin hier drin gewohnt und anscheinend nicht ein Stück aufgeräumt, als sie das Camp verlassen hat. Wir widmen uns nun also unserem kleinen Projekt „eigene Hütte“. Dafür müssen wir erstmal eine Menge Müll und Kram aus dieser Hütte rausholen. Es ist erstaunlich, wieviel man in eine so kleine Hütte bekommt. Wir brauchen so 2 Tage bis wir die Hütte soweit bewohnbar haben, dass wir einziehen können. Auch wenn wir sehr wenig Platz haben und es eine große Herausforderung darstellt, uns hier drin zu arrangieren, freuen wir uns riesig. Unsere Zweisamkeit kommt auch mit einigen Abstrichen, die wir machen müssen. Z.B. gibt es hier drin keinen Strom, so dass wir unsere Akkus nur in der großen Hütte laden können. Licht spenden uns lediglich zwei Petroleumlampen. Aber das macht unser Arktisabenteuer nun nochmal um einiges „echter“. In einer kleinen Holzhütte ohne Strom. Die Petroleumlampen machen es dazu auch noch einfach supergemütlich. Wir holen das Beste aus der Hütte raus und genießen unsere Zweisamkeit. Ein weiterer Nachteil ist nun allerdings auch, dass wir die einzigen sind, die sich um den Ofen kümmern. In der großen Hütte mit den Anderen, haben wir uns immer abgewechselt, so dass nicht immer jeder jede Nacht hoch musste, um Holz nachzulegen. Jetzt müssen wir jede Nacht hoch und den Ofen am Laufen halten. Wir brauchen auch ein paar Nächte, um herauszufinden, wie wir am besten den Ofen befeuern. Unsere ersten Abende enden oft in einer absoluten Sauna. Der Ofen heizt so extrem, dass wir nicht schlafen können und öfters die Tür aufmachen, um frische kalte Luft hereinzulassen. Dann geht er irgendwann in der Nacht aus und dadurch, dass die Hütte schlechter isoliert ist als die andere, wird es viel schneller kalt. Eines Morgens sehen wir sogar, dass ein Kochtopf mit Wasser, der neben dem Ofen steht, gefroren ist. Aber hey, das ist Teil des Abenteuers und wir können mittlerweile mit der Kälte auch deutlich besser umgehen als noch zu Anfang. Abends holen wir uns oft einen von den Welpen, meist Taslak oder Sesi, in die Hütte. So liegen wir da also im Bett, zwischen uns der Hund mit dem wir kuscheln, wir lesen unsere Bücher während das warme Licht der Petroleumlampen flackert und die Holzvertäfelung im Innenraum noch wärmer erscheinen lässt. An der Wand hängt noch ein bisschen Inuit Deko, wie z.B. ein traditioneller alter Schneeschuh. Der Ofen knistert und durch das Fenster können wir sehen, wie der Mondschein durch die Tannen vom Schnee reflektiert wird. Wir fühlen uns ein bisschen, wie auf einer Nordpolexpedition. Aber zurück zu der Nacht mit den schönsten Polarlichtern. Nachdem der Film vorbei ist, ziehen wir uns an und machen uns auf den Weg zu unserer Hütte. Als wir nach draußen kommen, sehen wir wieder einen kleinen hellen Streifen am Himmel. Es ist oft so, dass man am Anfang, wenn die Polarlichter noch ganz schwach sind, denkt, es sei nur eine helle Wolke. Da wir das aber schon kennen, wissen wir, dass sich daraus Polarlichter entwickeln können. Wir gehen nochmal rein zu den Anderen, und sagen Bescheid, dass es eventuell bald Polarlichter geben könnte. Denn Pip und Anna haben bis jetzt noch keine gesehen und wünschen sich das seit der Ankunft im Camp. Wir sagen auch, dass die jetzt sehr schwach sind, aber sich noch entwickeln können und man in einer halben Stunde oder Stunde nochmal schauen müsste. Um es vorwegzunehmen, Pip und Anna schlafen leider ein und verpassen ein unfassbares Spektakel. Lara und ich gehen also rüber zu unserer Hütte und nehmen uns auf dem Weg, wie so oft, noch einen Welpen mit. Wir gehen in unsere Hütte und ca. 20 Minuten später muss ich nochmal raus zum Pinkeln. Ich kann meinen Augen kaum trauen und vergesse fast, dass ich eigentlich zum Pinkeln rausgegangen bin. Die Polarlichter sind nun direkt über uns. So grün und intensiv, wie wir sie bisher noch nie gesehen haben. Man muss sich das vorstellen wir grüne Vorhänge, die im Wind wehen. So tanzen die Polarlichter über unseren Köpfen und der kleinen Holzhütte, die hier zwischen den Tannen steht. Ich möchte kurz auch versuchen das Setting zu beschreiben in dem wir uns hier befinden. Wir sind in unserer Hütte, die wie bereits erwähnt, vom warmen Licht der Petroleumlampen erleuchtet wird. Auf unserem Bett liegt die kleine Sesi eingekuschelt in unseren Schlafsäcken. Der Ofen spendet eine wohlige wärme und knistert vor sich hin. Wir öffnen die Tür und treten aus unserer Hütte. Wir blicken in den Wald, in dem ganz in der Nähe von unserer Hütte noch ein alter ausrangierter Bus steht (für die, die es kennen: „Into the Wild“ lässt grüßen). Wir kommen also aus diesem Setting, blicken in den Himmel und sehen das eben beschriebene Himmelsspektakel. Teilweise könnte man glauben, dass hier gleich ein Ufo landet. Und als wäre das noch nicht genug, können wir auch noch mehrere Sternschnuppen beobachten. Aber auch das noch nicht genug. Und es klingt wie erfunden. Auf einmal taucht am Himmel ein großer glühender Punkt auf, der langsam Richtung Horizont herabfällt und dabei eine glühende Spur nach sich zieht. Als wäre das alles bis jetzt nicht schon unfassbar und atemberaubend genug, da beobachten wir genau jetzt einen Meteorit, der quasi durch die Polarlichter fliegt. Wir stehen da und denken nur „Ist das wirklich gerade passiert?“. Was für ein Abschiedsgeschenk. Danke Arktis! Nach all den Herausforderungen und Schwierigkeiten, die wir hier oben hatten, belohnt uns die Arktis mit diesem einmaligen Naturspektakel. So als ob uns irgendetwas sagen möchte „Hey, genießt das, das habt ihr verdient!“.
Herausfordernde Zeiten
Aber was für Schwierigkeiten überhaupt? Na klar, ist die Kälte eine Herausforderung oder gewisse Lebensumstände hier sind auch etwas an das man sich gewöhnen muss, aber das waren meistens Sachen, die im Vorhinein schon klar waren. Es sind eher die Dinge, die im Vorhinein anders kommuniziert worden oder von denen wir eine andere Vorstellung hatten. So arbeiten wir hier im Camp 50-60 Stunden die Woche, was deutlich mehr als die vereinbarten 30-35 Stunden sind. Wir leben, zu mindestens die ersten drei Wochen, mit mehr Menschen zusammen in einer Hütte, als abgemacht. Des Weiteren gibt es teilweise arge Kommunikationsprobleme mit unserem Campleiter, Kylik und sein Verhalten ist uns gegenüber nicht immer fair. Ein großer Punkt ist allerdings auch, dass Lara in den vier Wochen fünf Mal einen ganzen Tag mit Magen-Darm zu kämpfen hat. Auch die meisten Anderen von uns werden krank und jedes Mal wird ein neues Argument erfunden, wieso jetzt jemand den ganzen Tag Magen-Darm hat. Mal sei es ein Jetlag, mal Stress oder die Umgewöhnung an das Klima. Dass es eventuell mit mangelnder Hygiene, vor allem im Küchenbereich oder beim Thema Trinkwasser zu tun hat, möchte von den beiden Verantwortlichen keiner hören. Das es mal zu einem solchen Ausbruch kommt, kann schon mal passieren. Aber dass nach mehrmaligen Infektionen, es keine Einsicht gibt und sich niemand Gedanken darüber macht, ob man irgendwo mal was ändern müsste, ist schon sehr fragwürdig. Die Magen-Darm Infektionen von Lara haben sie, zusätzlich zu der Kälte, natürlich nochmal mehr geschwächt. Und so etwas durchzumachen, wenn es nur ein kaltes Plumpsklo für 7 Menschen gibt und keine richtige Möglichkeit sich zu waschen, ist nochmal eine ganz andere Nummer. Aber hey, wer kann schon von sich behaupten, unter den Polarlichtern gekotzt zu haben, Lara kann! Apropos waschen. Vorab wurde uns gesagt, dass wir einmal in der Woche in die Stadt fahren, um halt Proviant usw. zu besorgen und dabei könnten wir auch immer die Gelegenheit nutzen und in der Stadt duschen und Wäsche waschen. Auch das findet nun nicht immer so statt. Zwar fährt Kylik mindestens einmal die Woche in die Stadt, aber manchmal ohne vorher Bescheid zu sagen oder er fährt so früh morgens, dass wir keine Chance haben, ihm Klamotten mitzugeben. Wir duschen tatsächlich in den vier Wochen zwei Mal. Einmal nach zwei Wochen und einmal am Tag unseres Abflugs. Aber wir müssen auch sagen, dass das durch die Kälte gar nicht so das große Problem war, so lange ohne eine Dusche auszukommen. Nur ist es wieder etwas, was im Vorwege anders kommuniziert wurde.
Fazit
Wir möchten aber natürlich vor Allem die Erinnerungen an die, teilweise bereits erwähnten, einzigartigen Momente mitnehmen. Ein weiteres Erlebnis dieser Art, war unser Ausflug in das 150km nördlich gelegene Tuktoyaktuk. Ein Ort mit etwa 900 Einwohnenden. Es ist tatsächlich der nördlichste Ort in Amerika, den man über eine offizielle Straße mit dem Auto erreichen kann. Wir bekommen alle einen Tag frei und dürfen das Auto von Kylik nehmen. Den am Anfang erwähnten abgerockten weißen Van. Wir nehmen uns ein paar Hunde mit und machen uns auf den Weg. Erstmal müssen wir über die Ice Road nach Inuvik zurück, um von dort aus auf den Highway nach Norden zu fahren. Wir passieren das Ortsausgangsschild von Inuvik und dann kommt 150 km nichts. Also wirklich Nichts. Nach etwa 30 km hören die Bäume auf zu wachsen und dann fahren wir nur noch durch eine weiße Mondlandschaft. Ab und zu türmt sich der Schnee zu meterhohen Wänden am Straßenrand auf und die Straße wird nur noch einspurig. Wir begegnen nicht vielen Menschen auf der Strecke. Ein paar Straßenarbeiter, die verzweifelt versuchen die Schneemassen unter Kontrolle zu bekommen und die Straße freizuhalten. Tatsächlich war der Highway kurz vorher noch wegen dem Schnee tagelang gesperrt. Als wir endlich ankommen in Tuktoyaktuk fahren wir als erstes zu Bruce. Manu war im Dezember und Januar, für eine gewisse Zeit bei Bruce als Freiwilliger, um ihm mit seinen Schlittenhunden zu helfen. Daher möchte Manu ihm nun gerne einen Besuch abstatten. Wir halten vor seinem Haus und Manu geht rein. Nach kurzer Zeit kommt er wieder raus und sagt, Bruce lädt uns ein, hereinzukommen und einen Kaffee oder Tee zu trinken. Die Einladung nehmen wir dankend an. Das schönste für uns ist es, mal wieder in einem richtigen Haus zu sein. Es klingt wirklich bescheuert, aber eine richtige Toilette mit Wasserspülung und ein normal beheiztes Haus ist für uns gerade ein riesen Luxus. Bruce ist ein rundum toller Mensch. Sehr gastfreundlich, lieb und lustig. Er wurde als Kind von Inuit adoptiert und ist in der Kultur der Inuit groß geworden. Wir lauschen seinen Geschichten über das Jagen von Karibus und Beluga Walen. Eine Geschichte, die er uns erzählt, wird wohl noch lange in unserem Gedächtnis bleiben. Er erzählt wie sein Großvater einmal bei der Jagd auf dem Arktischen Meer mit seinen Schlittenhunden auf einer Eisscholle abgetrieben ist und tagelang dort gefangen war. Es war irgendwann so schlimm, dass er zum Überleben einen seiner Hunde töten musste. Aber er hat überlebt. Nachdem wir unseren Kaffee ausgetrunken haben möchte uns Bruce noch gerne seine Hunde zeigen. So fahren wir etwa 5 Minuten zu einem Platz, wo er seine Hunde hält. Und ja, wir könnten jetzt wieder über das kontroverse Thema sprechen, aber das machen wir jetzt nicht. Bruce lädt uns ein, am Nachmittag nochmal vorbeizukommen. Er würde für uns eine Karibu Suppe machen. Einfach echt lieb dieser Mensch. Wir fahren noch ein bisschen im Ort herum und dann zum Arktischen Meer, „The Arctic Ocean“ steht auf einem blauen Schild. Aber vom Meer ist nicht wirklich viel zu sehen, denn es ist zugefroren. Nur etwa zwei Monate im Jahr ist das Meer hier komplett eisfrei. Wir holen die Hunde aus dem Auto und gehen eine Runde auf dem Meer spazieren. Ein verrücktes Gefühl. Sowieso scheint das Leben hier nochmal ganz anders zu sein als in Inuvik. Der Ort selbst hat ansonsten nicht viel zu bieten. Auch hier wirkt alles wieder sehr postapokalyptisch und als wäre die Zeit eingefroren. Vor allem heute. Es sind -40°C mit Wind. Das Kälteste, was wir bisher erlebt haben. Es ist so kalt, dass man es draußen nicht lange aushält. Ich habe in den Tagen nach unserem Ausflug eine Art Sonnenbrand von der Kälte auf meinen Händen, weil ich es gewagt habe draußen mal kurz die Handschuhe auszuziehen. Man kann kaum beschreiben, wie kalt es sich anfühlt. Es geht zurück zu Bruce. Wir genießen die äußerst leckere Karibu Suppe, quatschen noch ein bisschen und dann müssen wir auch schon wieder zurück. Wir wollen es noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück nach Inuvik schaffen. Und wieder geht es 150km durchs Nichts. Diesmal fahre ich und irgendwie bin ich noch nie eine so langweilige und doch spannend Strecke zu gleich gefahren.
Das Spannendste an unserem Abenteuer hier im Norden, ist es mal eine ganz andere Lebensweise zu sehen. Irgendwie ist alles halt doch sehr „westlich“ geprägt, aber doch so ganz anders. Die Kälte und die ewige Dunkelheit erfordern eine große Anpassungsfähigkeit der Einwohnenden. Aber auch so viele Dinge, die hier oben so normal sind und für uns so außergewöhnlich, wie z.B. die Ice Road oder die kleine Ortschaft Aklavik, die wir an einem anderen Tag besuchen, welche man nur im Winter über die Ice Road mit dem Auto erreichen kann. Im Sommer kommt man nur mit dem Boot oder dem Flugzeug dorthin. Wir erleben auch die starken negativen Auswirkungen unserer europäischen Vorfahren. Viele Alkoholabhängige in der Stadt. Ob die Kinder hier zur Schule gehen oder nicht, interessiert nicht wirklich jemanden. Dadurch gibt es einen extremen Mangel in der Bildung. Viele Menschen, die kaum Geld haben, weil das Leben so unheimlich teuer ist. Und generell haben wir jedes Mal in Inuvik das Gefühl, als würde ein großer Schleier der Traurigkeit über der Stadt hängen. Viele der Inuit mit denen wir sprechen, werden richtig nervös und können sich kaum noch vernünftig ausdrücken, weil sie kaum mit „Weißen“ sprechen. Man sieht viele Menschen hier mit fehlenden Zähnen, da es keine vernünftige zahnärztliche Versorgung gibt. Es gibt zwar ein Krankenhaus mit der wichtigsten medizinischen Versorgung, aber für einen Zahnarzttermin müssen die Menschen ein paar Stunden nach Süden fliegen. Wie gesagt, alles ein bisschen anders hier. In den vielen abendlichen Gesprächen mit Kylik erfahren wir auch viel über die Konflikte und Schwierigkeiten der Inuit und den Problemen mit dem Umgang der kanadischen Regierung mit den indigenen Völkern Kanadas. Wir bekommen die Chance Kyliks Mama kennenzulernen, die zu den wenigen Menschen gehört, die die Sprache der Inuit noch beherrscht. Viele Traditionen und vor Allem die Sprache ist leider durch die Europäer und die Residential Schools verloren gegangen. Auch Kyliks Mama war in einer Residential School. Wir haben wieder die Chance bekommen, besondere und unheimlich interessante Menschen hier kennenzulernen. Nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Menschen, die mit uns im Camp gelebt haben. Sie haben wieder einmal unser Reisegepäck bereichert. Eine Lebensweise, die wir uns in Europa kaum vorstellen können, mit all den Herausforderungen. Ob es hart war? Definitiv! Ob wir jetzt komplett im Arsch sind? Absolut! Ob wir uns wieder auf ein „normales“ Leben freuen? Aber sowas von! Ob wir es bereuen, hier hochgekommen zu sein? Nein! Es war ein Abenteuer. Aber wir sind stolz auf uns und unheimlich froh, das Privileg zu haben, diese Erfahrung in unser Leben integrieren zu dürfen. Im regnerischen Vancouver haben wir uns nach einem richtigen kanadischen Abenteuer gesehnt. Wir haben uns gesagt, wenn schon Kanada im Winter, dann muss man eigentlich auch ein richtiges kanadisches Wintererlebnis haben. Und was könnte kanadischer sein, als in der Arktis, zusammen mit Schlittenhunden, in kleinen Holzhütten mitten im Nichts zu leben. Ohne fließend Wasser, Stromanschluss oder eine Dusche. Wir haben Polarlichter gesehen, sind Hundeschlitten gefahren, konnten mit dem Schneemobil durch die Tundra rasen, Feuerholz aus dem Wald beschaffen, Wasser aus einem Eisloch holen und in einen Eimer scheißen. Auch wenn wir uns einige Dinge anders vorgestellt haben und es hier und da zu Unstimmigkeiten kam, hätten wir vielleicht irgendwann mal wieder Lust auf eine solche Herausforderung….. dann aber ohne Scheißerei und Kotzerei.
Der Tag der Abreise ist gekommen. Schweren Herzens verabschieden wir uns von allen Hunden. Hier und da fließt sogar eine kleine Träne. Die ganze Camp Truppe bringt uns gemeinschaftlich zum Flughafen und Kylik lädt uns dort noch zu einem Mittagessen ein. Ja Kylik hat auch gute Seiten an sich und wir konnten viel von ihm lernen (auch teilweise, wie man Dinge nicht macht). Ein letztes Gruppenfoto vor dem ausgestopften Eisbären im Flughafen und dann geht es los ins nächste Abenteuer…. „Boarding for Flight 334 to Whitehorse starts now at Gate 2“
Sehr gut beschrieben euer Abenteuer. Man konnte sich viele Dinge richtig vorstellen. 😀
Dankeschön, immer wieder schön ein gutes Feedback zu bekommen!
❤️