IN MONTRÉAL SAGT MAN SALUT ODER SEKOH
Wir verbringen die ersten vier Nächte in einem Hostel. Dies ist allerdings um einiges größer und dadurch auch anonymer. Die Menschen sind zum Teil merkwürdig und die meisten grüßen nicht einmal, wenn man sich auf dem Flur begegnet. Wir fühlen uns nicht so wohl. Das 8-Bett-Zimmer ist zwar deutlich größer und die Betten sind umschlossene Kästen mit Vorhang, so dass man mehr Privatsphäre hat, aber die Mitbewohner sind entweder nur für eine Nacht da, oder sind ältere Männer, die so gut wie gar nicht mit uns reden, nach Rauch stinkend nachts ins Zimmer kommen und viel schwarze Haare nach dem Duschen im Bad hinterlassen. Wir sind froh, dass wir dort nur eine kurze Zeit bleiben. Denn am 2. Juli ziehen wir in eine WG mit drei anderen Kanadiern. Yvan, unser Lieblingsfranzose, den wir schon in Toronto kennen gelernt haben und der seit einem Jahr in Montréal wohnt, hatte uns auf die Idee gebracht, nach einem Apartment oder einer WG zu schauen, da am 1. Juli offizieller „moving day“, also Umzugstag, ist und viele Menschen ihre Apartments wechseln. Ich aktiviere in Toronto also wieder meinen Facebook-Account, trete in ein paar Gruppen für „Montréal apartments“ ein und veröffentliche einen Suchaufruf für eine möblierte Wohnung / ein Zimmer für einen Monat. Daraufhin bekommen wir tatsächlich viele Angebote und entscheiden uns am Ende für eine entspannt wirkende WG, die sehr günstig ist. Die Hostelpreise sind hier wirklich extrem teuer und wir stellen fest, dass Hostels in Nordamerika nicht unbedingt als günstige Schlafmöglichkeit, sondern eher als Verknüpfungsort mit anderen Menschen gesehen werden, die zum Teil fast genauso teuer sind wie ein Hotel. Für die 4 Nächte im Hostel bezahlen wir zusammen über 750$ umgerechnet fast 600€ für zwei Betten im 8-Bett-Zimmer. Die WG, in der wir zusammen ein eigenes, kleines Zimmer haben, kostet uns für die vier Wochen knapp 600$, also um die 400€ – für 4 ganze Wochen wohlgemerkt. Eigene Apartments mit einem Zimmer, kleinen Küche und Bad hätten so um die 800-1200$ für einen Monat gekostet, also hätten sich auch schon gelohnt. Wir haben uns aber doch für die WG entschieden, einfach, um noch mal mehr in Kontakt mit Menschen, gerade den Kanadiern, zu kommen. Und es war definitiv die richtige Entscheidung, den wir fühlen uns sehr wohl hier. Wir wohnen zusammen mit Julia (29), sie ist Schauspielerin und macht zur Zeit vor allem Werbeaufträge, Jeff (27) ist Bootsmechaniker und arbeitet immer wieder auf verschiedenen Schiffen und mit Gab (31), der Literatur studiert und nebenbei als Zimmermann Projektarbeiten gestaltet, auf die er Bock hat. Die WG ist relativ groß. Zwischen einem Second Hand-Geschäft gibt es eine unauffällige schwarze Haustür, hinter der eine schmale Treppe hoch in die Wohnung führt. Im Untergeschoss gibt es einen Flur, einen kleinen Werkstatt-Raum, wo Jeff meistens an Fahrrädern schraubt, ein Wohnzimmer mit Beamer und Leinwand und einem Schreibtisch mit PC, das Esszimmer und direkt nebenan die offene Küche. Von da aus geht es raus auf den Hinterhof, wo sich ein kleiner Balkon mit Tisch und Stühlen und einer Hängematte befindet. Im Obergeschoss sind dann die 4 Zimmer und ein gemeines Bad mit Dusche und Toilette. Wir haben das kleinste Zimmer raus zur Straße, was uns aber absolut reicht. Im Zimmer steht ein Doppelbett, ein Sessel mit kleinem Tisch, ein kleines Regal und seit neustem auch ein weiteres größeres Regal, was die anderen aussortiert haben und wir nun als Kleiderschrank benutzen. Und dann gibt es noch einen Ventilator, der sehr wichtig ist, da es zum Teil brütend heiß und schwül hier ist, so dass man ohne kaum schlafen kann.
Montréal gefällt uns sehr gut, sogar noch besser als Toronto. Mit über vier Millionen Einwohnenden und mehr als 120 verschiedenen Nationalitäten ist Montréal die zweitgrößte französisch-sprechende Stadt der Welt, direkt nach Paris. Zwischen 1000 und 1535 haben mehrere indigene Völker, auch „First Nations“ genannt, Montréal und die Umgebung bevölkert. Die Insel von Montréal direkt am St. Lawrence River war ein strategischer Handelspunkt für die First Nations. Ein Volk der First Nations namens Kanien’kehà:ka nannte die Stadt Tiohtià:ke. 1535 erkundete der französische Entdecker Jacques Cartier das Gebiet und ließ sich von den Indigenen den Berg Mont-Royal zeigen, von dessen Name auch der Name Montréal abgeleitet wurde. Nach jahrelangen Konflikten zwischen den Franzosen und den indigenen Völkern wurde 1701 ein Friedensvertrag zwischen beiden geschlossen. Was aber nicht bedeutet, dass seitdem „Frieden“ zwischen beiden herrschte. Im Mc Cord Stewart Museum in der Stadt gibt es die Ausstellung “Indigenous voices of today”. Dort haben wir einiges über die Geschichte der indigenen Völker vor allem in Québec gelernt. Es gibt 11 von ihnen allein in Québec: Waban-Aki, Anishinaabe, Atikamekw Nehirowisiwok, Eeyou, Huron-Wendat, Innu, Inuit, Wolastoqiyik, Mi’gmaq, Kanien’kehá:ka und Naskapi. In ganz Kanada leben über 1,6 Millionen Indigene, in 630 Gemeinden und sprechen über 70 Sprachen, die in 12 verschiedenen Sprachfamilien zusammengefasst sind. Sie sind Träger einzigartiger kultureller, philosophischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse, von denen der Rest der Menschheit lernen kann. Für mich war vor allem die Einheit mit der Natur und die Erziehung der Kinder auf Augenhöhe sehr interessant. Auch von der Auffassung, dass alles zusammenhängt, können wir viel lernen. Unsere Seele / unser Geist, die Geister unserer Vorfahren, Gefühle und das Gebiet, wo wir leben, stehen in Verbindung mit dem Universum, den Menschen, unserem Körper und unseren Gedanken. Gesundheit bedeutet für sie nicht nur, dass Wegbleiben von Krankheit, sondern viel mehr – und dem kann ich sehr zustimmen.
Ich wünschte, wir hätten schon viel früher auf die indigenen Völker gehört oder würden es zumindest heute tun. Stattdessen haben wir weißen Europäer*innen, den Indigenen ihr Land, ihre Kulturgüter sowie ihre Kinder weggenommen und ihnen in „Umerziehungsschulen“ unsere westliche Sichtweise aufgedrückt. Dabei haben wir sie gequält und traumatisiert. Hierfür haben wir uns viel zu spät entschuldigt, immer noch nicht alle Taten aufgeklärt und tun viel zu wenig, um die indigenen Menschen zu unterstützen und uns mit ihnen zu versöhnen. Ein erster Schritt in Richtung Versöhnung ist sich mit dem Thema zu beschäftigen, sich Wissen anzueignen und darüber zu sprechen bzw. das Wissen weiterzugeben. Daher habe ich euch eben ein paar Informationen erzählt, wer sich darüber hinaus für das Thema interessiert, es gibt einen Podcast auf Englisch von CBC dazu: „Telling Our Twistes Histories“. Salut in der Sprache der Kanien’kehá:ka heißt übrigens „Sekoh“.
Dies ist ein sehr wichtiger Teil der Geschichte von Montréal. Nun aber wieder zurück zur Gegenwart: Die Stadt ist super vielfältig und an jeder Ecke erwartet einen die nächste Überraschung. Wir sind sehr froh, dass wir uns Montréal als Ort ausgesucht haben, an dem wir eine längere Zeit bleiben, verschnaufen können und uns in Ruhe auf die Suche nach einem zuverlässigen Auto / Camper machen können, der uns auf unserer Reise durch ganz Kanada begleiten wird. Auf der Suche nach dem perfekten Auto (was es natürlich nicht gibt), entdecken wir die Stadt und seine unzähligen unterschiedlichen Viertel. In den ersten Tagen, wo wir noch im Hostel sind, halten wir uns vor allem im „Village“ auf, dem größten LGBTIQ* Viertel in Nordamerika. Dort gibt es viele süße Cafés, Klamottenläden und Restaurants mit großen Außenbereichen aus Holz, direkt auf der Straße. Direkt am zweiten Tag gibt es einen Kunstmarkt und wir wünschten, wir könnten an jedem Stand Bilder und Figuren kaufen, doch wir haben weder Platz zum Mitnehmen noch eine Wohnung zum Aufhängen der Kunstwerke. Also sammeln wir ganz viele Visitenkarten für später und kaufen ein ganz kleines Bild für unseren zukünftigen Camper. Wir treffen uns mit Yvan wieder und schlendern durch die Altstadt von „Old Montréal“ und besuchen den „Vieux Port“ (alten Hafen), das Riesenrad dort und beobachten die Schiffe, die auf dem St. Lawrence River, an Montréal vorbeischippern. Am 1. Juli feiern wir gemeinsam mit Yvan, einer Freundin von ihm namens Elisa und Jakob, den wir vom Niagara Ausflug kennen, den „Canada Day“ am alten Hafen, werden von einem starken Regenschauer überrascht und stehen bestimmt eine halbe Stunde mit anderen Tourist*innen und Einheimischen unter einem Zelt vom Kanada Nationalpark-Verein, an dem man kanadische Tiere anhand von Fellen, Spuren und Kackhaufen erraten kann. Dabei stellen wir fest, dass ich wohl vor ein paar Tagen doch keinen Biber im Hafenbereich gesehen habe, sondern ein „Marmot“ (=Murmeltier). Na wenigstens war es keine Ratte, wie Malte mir erzählen wollte. Am Ende des Abends gehen wir noch lecker „Poutine“ essen, was ein absoluter Klassiker in Québec zu sein scheint. Es schmeckt zwar gut, aber so richtig feiern, können wir die Pommes mit Käse, der nach nichts schmeckt und mit Bratensauce nicht.
Ein anderes Mal machen Malte und ich uns auf den Weg, den „Mont-Royal“ zu besteigen. Dies ist ein Berg inmitten der Stadt, den man auf keinen Fall „Hügel“ nennen darf. Er ist 233 Meter hoch und es dürfen keine Hochhäuser in der Stadt gebaut werden, die höher als der Mont-Royal sind. Wir haben uns zwar einen etwas kühleren Tag ausgesucht, trotzdem ist es sehr anstrengend die ansteigenden Straßen und nachher die längere Treppe hochzugehen. Zwischendurch sind wir auf der Suche nach einer Bank, um kurz Pause zu machen. Leider sind viele davon in der Sonne oder schon komplett besetzt. Dann sehen wir eine, wo nur ein Mann drauf sitzt und freuen uns, dass wir in Kanada sind und die Kanadier*innen meist sofort Platz machen, so dass alle sitzen können. Die Menschen aus Kanada sind in dieser Hinsicht und auch allgemein wirklich sehr freundliche Wesen, die stets Rücksicht nehmen und sich sogar entschuldigen, wenn du ihnen gerade in die Hacken gelaufen bist 😀 Fast angekommen an der Bank, merken wir jedoch, dass der Mann auf keinen Fall vor hat, Platz für uns zu machen, sondern er breitbeinig mit seiner Tasche auf der einen Seite und seinem Getränk auf der anderen Seite weiterhin die komplette Bank in Beschlag nimmt. Malte und ich setzen uns ein paar Meter entfernt auf einen unbequemen Stein, um trotzdem kurz Pause im Schatten zu machen. Wir stellen fest, der Typ kommt aus Deutschland und telefoniert lautstark mit seiner Familie. Ich weiß, Vorurteile sind scheiße, und ich möchte auch nicht alle aus einer Nation über einen Kamm schären, aber irgendwie hat es mich auch nicht verwundert, dass der Typ, der sich sehr rücksichtlos und egoistisch auf der Bank breit gemacht hat, nicht aus Kanada, sondern aus Deutschland kommt. Ich finde, von der Freundlichkeit und das „gegenseitig aufeinander achten“, davon können wir Europäer*innen auf jeden Fall noch eine Menge von den Kanadier*innen lernen. Oben angekommen auf dem Berg genießen wir die Aussicht mit vielen anderen Menschen zusammen. Die Skyline ist nicht so schön wie von Toronto, aber es lohnt sich trotzdem den Berg einmal hochzugehen. Wir spazieren auf kleineren Pfaden direkt durch den Wald auf dem Berg entlang und entdecken noch ein paar schöne Lookouts, die wir ganz für uns alleine haben. Wir genießen die Ruhe und die Natur inmitten der Stadt. Gegen Abend machen wir uns noch auf dem Weg zu einer Kirche von der man den Sonnenuntergang besonders schön beobachten kann. Leider ist es bewölkt und die Sonne versteckt sich. Also machen wir uns auf unseren Bixies auf den Heimweg. Bixie ist eine Mischung aus Bicycle (Fahrrad) und Taxi und für 20$ im Monat kann man die ersten 45 Minuten kostenlos mit einem Bixie fahren. Stationen davon gibt es überall in der Stadt und über eine App kann man sehen, wo die nächste ist und wie viele freie Räder oder Docks zum Zurückstellen es noch gibt. Die Bixies sind eine gute Möglichkeit durch die Stadt zu fahren, da es viele Radwege gibt und die Räder auch sehr viel genutzt werden. Wir haben die Bixies in den ersten zwei Wochen schon 45 Mal für 130km in dieser Stadt genutzt. Es gibt es extra Personal von Bixie, die an die Stationen fahren und regelmäßig kaputte Räder durch heile tauschen und sogar Räder von vollen Stationen abholen und sie an leere Stationen bringen. An einem Abend, als wir mit Jeff, Gab und ein paar Anderen, zum Jazz Festival mit dem Bixie fahren, kommen wir sogar in einen richtigen Bixie-Stau. Alle Stationen im Zentrum der Stadt sind voll und es ist schwierig sein Bixie wieder abzustellen. Aber die Stadt hat vorgesorgt und an einer Station arbeiten vier Menschen gleichzeitig und nehmen die Räder aus den Docks, um sie an den Rand zu stellen, damit die ankommenden Bixies wieder in die Docks zurückgegeben werden können. Nachts nachdem die Auftritte des Tages zu Ende sind, stellen sie sie wieder zurück, damit die Menschen wieder alle mit ihren Bixies nach Hause fahren können. Ein echt super System.
In Montréal gibt es drei große Straßen, die komplett als Fußgänger*innenzone eingerichtet sind. Aber nicht nur, dass dort keine Autos fahren, es gibt dort auch überall bunte Sitzmöglichkeiten, Pflanzenkübel und Sprüche sowie Bilder, die auf die Straße gemalt sind. In der Mont Royal-Avenue gehen wir einen Tag frühstücken und essen lecker Pfannkuchen mit Blaubeeren und French Toast mit Ahornsirup. Danach schlendern wir durch die Straße ohne Autos, entdecken viele kleine Cafés, Vintages-Stores mit Secondhand-Kleidung und finden sogar ein paar neue, coole Hemden für Malte und mich. An einer Bar machen wir Stopp, setzen uns draußen in die Stühle, genießen ein kühles Bier / einen Cider und beobachten einfach nur die Menschen und Tiere, die auf der Straße umher wusseln. Wir könnten ewig hier sitzen und einfach nur den verschiedensten Menschen mit ihren bunten Frisuren und Kleidungsstilen zuschauen.
Einen interessanten oder ein eher beänstigenden Kleidungsstil finden wir auch in Mile-End. Ein weiteres Viertel mit kleinen Gassen, Street-Art und endlos vielen Treppen, was jedoch auch wieder ganz anders ausschaut als die anderen Viertel. Treppen sind wirklich ein Merkmal der Stadt. Es gibt sie an jedem Haus, in jeder Form, meist in schwarz. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden diese beliebt, um mehr Menschen in Häusern in mehreren Etagen unterbringen zu können. Die Bauarbeiter stellten fest, dass die Häuser besser isoliert waren, wenn sich die Treppen draußen am Haus befanden. Zudem hatte man mit dem Bereich der Treppe auch direkt einen kleinen Garten. Montréal ist übrigens auch die offizielle „Balkon-Hauptstadt“ mit über 1,5 Millionen Balkonen (ist das die richtige Mehrzahl?!). 71% der Einwohnenden hat mindestens einen Balkon. Okay aber zurück zu dem beängstigenden Kleidungsstil. Im Mile-End gibt es auch eine große jüdische Gemeinde. Am Anfang finden wir es total spannend die jüdischen Menschen in ihren traditionellen Kleidern zu beobachten, gerade die kleinen Kinder mit den Löckchen links und rechts am Kopf sehen sehr niedlich aus. Während wir jedoch durch die Straßen schlendern, stellen wir immer mehr fest, dass alle Frauen gleich aussehen. Sie haben alle die gleichen Frisuren mit fast derselben Farbe. Beim näheren Hinschauen stellt man fest, dass es Perücken sind. Auch ihre Kleidung ist fast identisch, nur schwarz, grau und weiß, lange Röcke, weite Blusen und traditionelle Schuhe. Wir recherchieren im Internet und stellen fest, dass es sich hier um eine sehr strenggläubige Gemeinde (jüdisch-orthodox) handelt. Wir setzen uns auf eine Bank, holen uns einen Eiskaffee aus einem koscheren Kiosk und diskutieren über Religionen. Ich bin sehr froh, dass Malte und ich uns in diesen Werten einig sind. Aus unserer Sicht kann jede und jeder an eine höhere Macht glauben, wenn es Hoffnung und Halt gibt. Aber alles, was mit einer Institution und Regeln, an die man sich zu halten hat, zu tun hat, geht einfach gar nicht. Und was gar nicht geht, dass Frauen ihr echtes Haar nicht in der Öffentlichkeit zeigen dürfen und alle die gleichen Sachen tragen müssen – niemand kann mir erzählen, dass sie dies aus einem freien Willen tun. Und während wir da so sitzen und diskutieren, passiert noch eine fast unbeschreibliche Situation, aber ich versuche euch so gut wie es geht, mitzunehmen. Hinter uns steht ein Auto am Straßenrand, da drinnen sitzen ein alter Mann und eine alte Frau und essen Sandwiches. Irgendwann steht die Frau aus dem Auto aus. Sie trägt ein langes, blaues Jeanskleid, hat weiße gelockte Haare, eine rote spitzzulaufende Brille und einen schwarz-roten Gehstock in der Hand. Sie geht an uns vorbei, schaut uns an, sieht Maltes Eiskaffee in einer Flasche und sagt: „Darling? Do you need ice for your coffee? I will get you a cup and some ice.” Und ohne, dass Malte was sagen kann, geht sie weiter, schnurstracks in das Café vor uns. Nach ein paar Minuten kommt sie mit einem Becher mit Eiswürfeln wieder raus und drückt ihn Malte in die Hand. „It will taste so much better now“, sagt sie. Dann dreht sie sich zu mir und sagt: „I need to walk down the street now. For my health. I don’t like it at all. It’s exhausting. But nothing in life is easy, you know.” Dann bückt sie sich zu mir runter und flüstert mir zu „Especially when you’re 29“, zwinkert uns zu, und dreht sich mit einem verschmitzten Gesicht um, um ihren Spaziergang zu starten. Ich wünschte, ich hätte ein Foto von dieser Frau machen können. Sie war einfach genial, so lieb und lustig und wir hätten uns auf jeden Fall noch viel länger mit ihr unterhalten können.
Während wir jeden Tag durch die Stadt spazieren oder mit unseren Bixies umher cruisen, gibt es an jeder Ecke neue Kunst zu entdecken. Ob Street Art an den Hauswänden, kleine grüne Ecken angelegt zwischen den Häusern oder Musik-, Kunst-, Theater- oder Zirkusvorstellungen – immer gibt es etwas anderes zu bestaunen und das alles for free. Einen Abend auf dem Weg zurück in die WG hören wir laute Musik aus dem Park nebenan und schauen, was da los ist. Eine Bollywood-Tanzgruppe führt verschiedene Tänze auf und animiert die Zuschauenden zwischendurch immer wieder auf die Bühne zu kommen und mitzutanzen und viele machen mit. Unter einem Pavillon wird kostenlos Popcorn und Limonade verteilt. Nach der Tanzvorführung wird noch ein Film gezeigt, leider auf Französisch, daher gehen wir nach Hause. Aber die anderen Menschen bleiben, sitzen auf ihren Decken auf kleinen Stühlen oder einfach im Gras und genießen das Open Air Kino. An einem anderen Tag gehen wir durch einen der vielen super schönen Parks in Montréal spazieren und hören von weiter weg immer wieder lautes Gejubel und Geklatsche. Als wir hingehen, finden wir eine große Open Air Bühne, davor ein großes Publikum, was eifrig singt und tanzt. Mehrere Künstler*innen treten dort an dem Abend auf und unterhalten die Menschen. Auch das alles kostenlos. Den Sommer über gibt es in den verschiedenen Parks wirklich jeden Abend eine andere Vorstellung und in der Innenstadt viele Festivals oder Märkte, zu denen man gehen kann. Am Wochenende sind die Parks in der Stadt besonders voll. Die Menschen liegen in ihren Hängematten, die sie zwischen den Bäumen aufgespannt haben und essen Abendbrot, das sie sich aus einem umliegenden Restaurant geholt haben. Es gibt überall Wasserspender, wo man die Trinkflaschen auffüllen kann (nicht nur in Parks, generell einfach überall), Spielplätze und im Park La Fontaine, meinem Lieblingspark (weils dort das beste Eis der Stadt gibt), auch einen Fahrrad-Übungsplatz und Baseball-, sowie Basketballplätze.
Auch wenn wir uns wirklich in Montréal verliebt haben und unheimlich froh sind, eine längere Zeit hier verbleiben zu können, freuen wir uns auch schon, wenn wir nach drei Großstädten endlich mit unserem Super-Camper in die Natur fahren können. Einfach raus aus dem Trubel, weg vom Lärm und die wunderschöne Natur Kanadas genießen. Wir hoffen, dass es bald soweit ist und berichten euch mehr über unsere Autosuche in unserem nächsten Blogbeitrag.