731 TAGE LEBEN
Gedanken über einen Traum, den wir Leben nennen dürfen
„Die Welt ist ein Buch, und wer nicht reist, liest nur eine Seite.“
14.06.2023 – Ein Datum, was sich uns mittlerweile mehr eingebrannt hat als unser eigener Jahrestag. Ein Datum, was so unwichtig erscheint, aber für uns der Anfang von etwas ganz Besonderem ist. Ein Datum, das wir nun bereits zum zweiten Mal zelebrieren dürfen. In dem so viel mehr steckt als nur ein Tag in einem Monat in einer Woche in einem Jahr. Ein Datum, was wohl für immer ein entscheidender Tag in unserem zukünftigen Leben sein wird. Ein Datum, in dem für uns so viel Abenteuer, Leben, Erwartungen aber auch Gedanken, Sorgen und Herausforderungen stecken. Das Datum ist der Beginn unseres jetzigen Lebens. Das Leben als Reisende, Nomaden oder wie man es auf „Instagramisch“ sagen würde: Traveler. Oder sind wir einfach nur Lebende? Lebende die ihr Leben leben?
„Reisen ist, in jedem Augenblick geboren werden und sterben.“
Kaum etwas begleitet unser jetziges Leben so sehr und so stetig wie die Fragen. Fragen des täglichen Lebens. Wo wollen wir hin? Wo schlafen wir? Wo duschen wir? Wo können wir Wäsche waschen? Wann können wir mal wieder mit den Liebsten telefonieren? Wo können wir uns eine Sim -Karte kaufen? Was können wir hier einkaufen? Was wollen wir unternehmen? Welchen Bus nehmen wir? Wie kommen wir von A nach B? Aber auch komplexe Fragen wie: Wer wollen wir sein und was wollen wir mal werden? Und wo genau liegt der Unterschied zwischen dem, was man macht und dem was man ist? Wenn ich zwei Jahre den Beruf eines Maurers ausführe, würden die meisten wohl sagen: Malte ist Maurer. Und auch ich würde dann sagen, ich bin Maurer. Aber wenn ich zwei Jahre um die Welt reise, würde wohl kaum jemand sagen: Malte ist Reisender. Aber warum? Warum bin ich das eine aber mache das andere? Warum lassen wir uns so sehr durch unsere berufliche Tätigkeit definieren, so dass es zu etwas wird, was man ist? Aber unsere Leidenschaften, Hobbys und Dinge, die wir aus Liebe dazu ausüben sind immer nur Dinge, die wir machen, als würden sie an uns kleben. Ist ein Beruf etwas, was in mir steckt und eine Leidenschaft etwas was nur an mir haftet? Sollten nicht unsere Leidenschaften in uns stecken und uns definieren und der Beruf ein Anhängsel unseres Lebens sein, um seine Leidenschaften finanzieren zu können? Ein Fußballspieler ist auch erst ein Fußballspieler, wenn es sein Beruf ist. Vorher ist man z.B. ein Bankkaufmann, der gerne Fußball spielt. Mir gefällt die englische Phrase bzw. Fragestellung „What do you do for a living?“, die wortwörtlich übersetzt in etwa „Was machst du für den Lebensunterhalt?“ Oder „Was machst du, um zu leben?“ heißt, sehr gut. Und auch wenn sich die Menschen in den nord- und südamerikanischen Kulturen oft viel wenigen über ihren Beruf definieren als wir in Deutschland, kommt es häufig zu einer Konversation, die in etwa so abläuft:
- Was macht ihr so?
- Wir reisen!
- Ne ich meine zu Hause in Deutschland!
- Ach so, da haben wir alles gekündigt und reisen momentan nur.
- Ja, aber was habt ihr vorher gemacht?
- Ach du meinst beruflich?! Also Lara war….. und ich habe…….
Und auch wenn es uns freut, dass viele Menschen ein solches Interesse an uns haben, dass sie sogar wissen wollen, was wir noch vor zwei Jahren gemacht haben, kommt bei uns dann manchmal (wieder) eine Frage auf: Wieso spielt es so eine große Rolle, was ich vor zwei Jahren mal gemacht habe? Warum werden wir immer noch so viel über unseren Job definiert, der von uns momentan so fern ist, wie Deutschland von Chile? Mir ist bewusst, dass ein Beruf auch immer ein Thema ist, dass erstmal ein paar interessante Fakten mitbringt, die ein Gespräch, gerade am Anfang, erstmal ins Laufen bringen kann, ohne gleich zu persönlich zu werden. Aber sollte uns nicht viel mehr interessieren, wer unser Gegenüber ist? Was es für ein Mensch ist? Anstatt was dieser Mensch macht, um am Ende des Monats ein bisschen Geld auf dem Konto zu haben? Und falls sich jetzt jemand fragt, was wollen Malte und Lara denn eigentlich machen, wenn sie wieder zu Hause sind, um ein bisschen Geld auf ihr Konto zu bekommen, dann ist die Antwort: Keine Ahnung. Wir wissen es nicht. Und müssen wir das jetzt überhaupt schon wissen? Nein. Aber eines, das wissen wir. Wir wollen uns zukünftig nicht über unseren Beruf definieren. Außer eine unserer Leidenschaften darf eines Tages das sein, was wir für unseren Lebensunterhalt machen. Dann darf auch gerne aus „machen“ das „sein“ werden.
„Reisen verändert unsere Sicht der Welt.“
Außer den vielen Fragen auf der Reise gab es auch einige Antworten, die unser Leben der letzten zwei Jahre für uns bereithielt. Auch wenn es bei weitem nicht so viele Antworten sind, dass sie jede unserer Fragen beantworten könnten, so sind es doch für uns sehr wichtige Erkenntnisse. Wir hatten das große Glück und Privileg in den letzten zwei Jahren ein Leben, in dem wir viele Leben lebten, leben zu dürfen. Wir hatten die Möglichkeit in viele verschiedene Lebensformen einen Einblick zu bekommen. Sei es das Vanlife in Kanada, ein Farmleben im Yukon, ein Leben als Aussteiger in der Arktis ohne Strom und fließend Wasser, ein Stadtleben in einer Metropole wie Vancouver, ein Leben in einem surrealen Schmelztiegel der Kulturen wie Mexiko Stadt, ein Leben in der Tourismusbranche in einem Hostel, ein Leben bei Einheimischen in einem traditionellen Dorf in Guatemala, ein Leben als Hundetrainer und Hundesitter in einem Tierheim oder ein Leben als Lehrkraft in einem kleinen chilenischen Dorf zwischen Wüste und Meer. Von einem Leben bei -30°C und nur wenig Tageslicht, über ein Leben ohne Dunkelheit im Sommer bis zu einem Leben an einem Ort, wo es das letzte Mal vor 8 Jahren geregnet hat, war alles dabei. Ein Leben in einer Stadt mit 22 Millionen Einwohnenden bis zu einem Leben in einem selbstgebauten Camp mit 8 Einwohnenden. Ein Leben mit und ohne Tiere. Mal waren wir die Städter, die es genossen haben Essen zu gehen, Filme im Kino zu schauen, feiern zu gehen oder auch mal live ein Sportereignis zu erleben. Und mal waren wir Dorfbewohner, die es genossen haben, abends am Lagerfeuer zu sitzen, Kayak fahren zu gehen, zu wandern oder einfach nur da zu sitzen und die Ruhe zu genießen. Wir haben Lebensstile kennenlernen dürfen, die wir in Deutschland für nicht möglich halten würden. So oft haben wir uns gedacht, in Deutschland würde man sagen „Das geht doch so nicht“ oder „Das kann man doch nicht so machen“, aber doch. Es geht. Vieles geht. Und genau das war eine der großen Antworten unserer bisherigen Reise: Vieles geht. Oft konfrontiert man sich selbst bei gewissen Gedanken mit den „Abers“. „Ich würde so gerne…., aber…..“. Und ein Leben zu führen, dass außerhalb der gesellschaftlichen „Norm“ liegt, ist auch immer mit einer gewissen Anstrengung verbunden. Es ist vielleicht auch mit mehr Aufwand verbunden und einer besseren Planung seines Lebens. Und natürlich ist es auch manchmal abhängig von gewissen Begebenheiten, die man nicht immer selbst beeinflussen kann, wie z.B. die Gesundheit oder das Finanzielle. Aber oft sind es halt auch die selbst auferlegten „Abers“ die uns an unseren Träumen hindern. Und auch wir hatten viele dieser „Abers“ bevor wir vor zwei Jahren in dieses Abenteuer gestartet sind. Aber was ist mit der Rente? Aber wir können doch nicht unsere wunderschöne Wohnung aufgeben, die wir so lieben! Aber wir können doch nicht unsere unbefristeten gut bezahlten Jobs kündigen! Aber was ist mit all den Menschen, die wir so liebhaben, die wir zurücklassen? Aber was wird sein, wenn wir wieder nach Hause kommen? Aber was ist, wenn uns etwas passiert auf dieser Reise? Aber was ist, wenn wir nun alles kündigen und dann feststellen, dass das Leben als Reisende nichts für uns ist? ABER was ist, wenn wir diesen Schritt nie wagen und es später bereuen es nie versucht zu haben? Man sollte die „Abers“ nie ignorieren und sich auch immer mit ihnen auseinandersetzen. Es ist absolut richtig seine Risiken zu analysieren und abzuwägen. Das Leben ist schließlich eine stätige Risikoanalyse. Aber genau so sollten die „Abers“ uns nie an unseren Träumen hindern. Oft sind die „Abers“ nur die Sprache der Angst vor dem Ungewissen. Der Mensch hat immer diese natürliche, in uns verankerte Angst vor dem, was wir nicht kennen. Die dunkle Höhle, von der wir nicht wissen, was in ihr verborgen liegt. Aber sollten wir deswegen diese dunkle Höhle nie betreten und erkunden? Wo wäre die Menschheit heute, wenn wir uns immer von unseren „Abers“ hätten aufhalten lassen? Wir würden wahrscheinlich immer noch in unserer Höhle am Feuer sitzen. Wobei nein, ein Feuer kann ja auch Schaden anrichten und sowieso könnten wir ja nie die Höhle erkunden, weil wir ja nicht wissen, was uns erwartet.
„Zu reisen bedeutet, sich zu entwickeln.“
Eine weitere Antwort der Reise ist: Es ist selten der Ort, die fehlende Zeit oder der aktuelle Umstand, der dich an der Erfüllung deiner Ziele hindert. Es bist meistens nur du selbst und deine Prioritäten. Hierzu ein Beispiel: Musik ist für mich schon seit jeher ein wichtiger Teil meines Lebens. Nicht in der Form, dass ich mir alle möglichen Namen, Titel oder Songtexte merken kann und ein großes Wissen über die Musik habe, aber als reiner Rezipient genieße ich es sehr Musik zu hören und lasse mich auch gerne emotional durch die Melodien und Songtexte beeinflussen. Und ich wollte schon immer gerne aus der Rolle des reinen Rezipienten heraus und mich mehr mit der Musik beschäftigen, um so auch selbst Musik erschaffen zu können. Nach ein paar kläglichen Versuchen an der Gitarre, fand ich Gefallen an der Mundharmonika und der Idee, dass dies ein Instrument ist, was man immer in der Hosentasche dabeihaben kann. So kaufte ich mir eine Mundharmonika, mit dem Ziel, diese in ein paar Jahren gut spielen zu können. Und das, was dann kam, nenne ich mal den „Heimtrainer-Effekt“. Die Mundharmonika lag bei uns zu Hause rum, wurde umfunktioniert zur Deko und staubte ein. Die Ausreden, bzw. „Abers“, haben gewonnen. Keine Zeit, kein richtiger Ort, ich kann ja nicht die Nachbarn nerven usw. usw.. Dann stand irgendwann fest, dass unsere Weltreise in Kanada beginnt und da kam mir die Idee: „Wenn wir dann mit einem Camper durch Kanada reisen, gibt es bestimmt viele einsame Orte, wo wir campen und ich abends am Lagerfeuer üben kann, bis ich irgendwann richtig gut bin und dann kann ich immer auf unserer Reise irgendwo bisschen Mundharmonika spielen.“. Also packte ich meine Mundharmonika ein und übte…… nie. Richtig. Nicht ein einziges Mal haben meine Lippen das Instrument berührt. Haben wir also nie so einsam gecampt wie gedacht? Oh doch, oft sogar. Und oft auch sehr einsam mit keiner Menschenseele weit und breit. Aber hatte ich vielleicht einfach nicht die Zeit? Und wie ich die Zeit hatte. Oft saßen wir abends einfach nur am Lagerfeuer und haben stundenlang ins Feuer geschaut und miteinander geredet. Aber vielleicht gab es einfach nicht den richtigen Ort? Es gab Orte auf dieser Reise, die wären so perfekt zum Spielen einer Mundharmonika gewesen, dass es schon fast zu kitschig gewesen wäre. Woran lag es also nun? Einzig und allein an mir. Ich hatte anscheinend nie die tatsächliche Motivation, sondern einfach nur die Wunschidee ein Mundharmonika spielender Mensch zu sein. Aber so richtig priorisiert habe ich es dann doch nie. Weder vorher noch nachher. Also habe ich mich nach ca. 1,5 Jahren unserer Reise dazu überwunden die Mundharmonika aus meinem Gepäck zu verbannen und in einem „Zu verschenken“ Korb im Hostel zu lassen. Mit dem Wunsch, dass sie nun jemanden findet, der das Instrument tatsächlich mal spielt. Und dabei habe ich eine weitere Antwort unserer Reise bekommen.
„Nichts entwickelt die Intelligenz wie das Reisen.“
Die Antwort der Akzeptanz. Man muss einfach irgendwann auch mal akzeptieren, dass man vielleicht einfach nicht der Mensch ist, den man sich immer so perfekt ausmalt. Ich habe für mich nach 1,5 Jahren endlich akzeptieren können, dass ich halt nicht dieser musikalische Mensch bin, der am Lagerfeuer sitzt und alle mit den Klängen seiner Mundharmonika beglücken kann. Und das tat gut. Richtig gut. Immer wenn ich die Mundharmonika gesehen habe, dachte ich jedes Mal: „Ach, ich müsste doch jetzt endlich mal anfangen“. Und das war ein stätiger Begleiter der Reise. Und es spukt immer wieder in deinem Kopf. Immer wieder machte ich mir selbst Vorwürfe, dass ich es immer noch nicht geschafft habe. Und dann zu akzeptieren, dass man das, was man da so krampfhaft sein will, einfach nicht ist, ist sehr befreiend. Und ich meine damit nicht, dass man jede schlechte Angewohnheit einfach akzeptieren soll oder nicht an sich selbst arbeiten soll. Ich habe für mich zum Beispiel auch akzeptiert, dass ich wahrscheinlich nie dieser Mensch sein werde, der Sport toll findet und darin eine Erfüllung sieht. Für mich wird Sport vorerst wohl eine Sache bleiben, zu der ich mich zwingen muss. Aber das ist so wichtig, dass sich der Zwang lohnt. Und wer weiß, vielleicht überkommt es mich eines Tages und ich lerne doch noch ein Instrument, aber für jetzt akzeptiere ich und bleibe Rezipient. Und dies ist nur ein Beispiel für noch einige weitere Dinge, bei denen ich mittlerweile einfach akzeptiert habe, dass ich es momentan einfach nicht bin. Auch wenn ich ab und zu mal gerne ein Buch lese, werde ich momentan nicht die belesene Leseratte sein, die Bücher verschlingt, und das ist okay. Ich werde nicht derjenige sein, der Tagebuch über seine Reise führt. Und ich weiß gar nicht, wie viele Notizbücher ich auf der Reise schon gekauft und wieder verschenkt habe, immer wieder aus der Ideologie heraus, ich bin jetzt der, der sich täglich hinsetzt und seine Gedanken in ein Buch niederschreibt. Nur um ein paar Wochen später festzustellen, dass immer noch kein einziges Wort in dem Buch steht. Erst kürzlich habe ich mich wieder dabei ertappt, als wir auf einem Markt so schöne handgemachte kleine Bücher gesehen haben, dass ich darüber nachgedacht habe, wie schön es doch wäre, wenn ich…… Nein, jetzt gerade bin ich es einfach nicht. Und das ist vollkommen okay. Und die Akzeptanz sollte man nie verwechseln mit Aufgabe. Ich habe diese Gedanken nie aufgegeben. Nur akzeptiert, dass diese Sachen momentan nicht zu meinen Prioritäten gehören. Und gelernt, dass wenn ich etwas wirklich will, muss ich es zu meiner Priorität machen.
„Die beiden schönsten Dinge sin die Heimat, aus der wir stammen, und die Heimat, nach der wir wandern.“
Eine Antwort an der wir nach wie vor arbeiten, ist die Antwort auf die Frage: Was macht ein zu Hause zu einem zu Hause und was bedeutet Heimat?
Heimat ist für uns in erster Linie etwas Beständiges. Etwas, was sich den Titel der Heimat erst erarbeiten muss. Die Heimat ändert sich nicht täglich oder von jetzt auf gleich. Sie ist immer stark mit Menschen und Gefühlen verknüpft und gibt uns ein Gefühl der Geborgenheit. Der Gedanke an die Heimat löst oft ein Verlangen der Rückkehr aus. Heimat kann vieles sein. Ein Ort, eine Stadt, ein Land oder auch einfach nur Menschen. Sie ist dort, wo die Menschen sind, die wir fest in unser Herz geschlossen haben. Heimat ist nicht immer etwas Physisches, was sich greifen lässt. Heimat ist mehr ein Gefühl, dass irgendwo in uns steckt.
Das zu Hause ist wiederum mehr ein physischer Ort, den man sich so einrichtet, dass man sich wohlfühlt. Ein zu Hause kann auch das Hostel sein, in dem man nur ein paar Tage verbringt. Es verändert sich stetig. Es kann die Wohnung sein, die man sich schön einrichtet. Es kann der Camper sein, in dem man lebt oder einfach nur ein Zimmer mit einem Bett. Und manchmal ist das zu Hause auch gleichzeitig die Heimat. Oft bekommen wir die Frage gestellt, ob es nicht hart sei, so lange weg von zu Hause oder der Heimat zu sein. Und ja, das ist es. Es ist hart so lange weg zu sein. Aber nicht von unserem zu Hause. Denn wir haben mittlerweile gelernt, fast jeden Ort innerhalb kürzester Zeit zu einem zu Hause zu machen. Aber die Abwesenheit aus der Heimat ist hart. Denn das Heimatsgefühl können wir nur schwer in kurzer Zeit aufbauen. Es gibt einige wenige Orte auf unserer Reise, die wir jetzt eine Heimat nennen würden. Und so vermissen wir diese Orte auch. Und das ist ein sehr schönes Gefühl, dass wir auf unserer Reise Orte und Menschen gefunden haben, die ein solches Gefühl in uns auslösen. Mittlerweile müssten wir für uns vielleicht noch einen dritten Begriff definieren. Einen Begriff, der die Heimat beschreibt, wo man aufgewachsen ist. Der Ort, wo all die Menschen sind, mit denen man schon einen großen Teil seines Lebens teilt. Der Ort der einen die ersten Jahrzehnte seines Lebens geprägt hat. Vielleicht können wir sie Wurzel-Heimat nennen. Der Ort, an dem unsere Wurzeln sind zu dem, was wir heute sind. Und diese Wurzelheimat ist genau das, was wir auf unserer Reise am meisten vermissen. Die Menschen, die uns bisher stetig begleitet haben, die jetzt auf einmal in so weiter Ferne sind.
„Die beste Investition ist die in Erfahrung, die man selbst erlebt.“
Dies bringt uns dann auch schon zu der nächsten Antwort, die die letzten zwei Jahre für uns bereitgehalten haben: Wirklich brauchen, tun wir nicht viel. Klar haben wir viele Dinge gerne in unserem Leben. Ich kann nicht verleugnen, dass ich es in unserem vorigen Leben nicht genossen habe, auf unserer großen Couch zu lümmeln und auf einem großen Fernseher ein Videospiel zu spielen. Und natürlich genieße ich auch gerne den Luxus eines modern ausgestatteten Bads mit einer großen Dusche oder eine moderne Küche mit allen Utensilien, die man sich so vorstellen kann. Der Unterschied ist jedoch, dass ich in der Vergangenheit bei vielen Dingen gedacht habe, dass ich sie brauche. Ich habe gedacht, ich könne nicht ohne gewisse Dinge ein gutes, glückliches und erfülltes Leben leben. Aber nach zwei Jahren, in denen wir oft mit einem minimalen Luxus gelebt haben, haben wir gelernt den Luxus für uns neu zu definieren. Luxus ist für uns heute ein bequemes Bett, eine Dusche, die zu mindestens ein bisschen Druck hat, eine Unterkunft, in der wir nicht frieren, eine Toilette, die sauber ist und die Möglichkeit uns Essen zuzubereiten. Luxus ist für uns, von guten Menschen umgeben zu sein und die Freiheit, zu tun was wir wollen. Nachdem wir in Zentralamerika einige Zeit lang viel durch Hostels gereist sind und dann irgendwann mal wieder eine eigene Unterkunft hatten, ist mir aufgefallen, was für ein Luxus es ist, wenn man ins Badezimmer geht und die Zahnbürste schon dort ist. Denn in Hostels lässt du nichts im Bad, das heißt du musst jedes Mal immer alles aus deinem Zimmer mit ins Bad nehmen. Und dann merke ich, wie schön es ist, morgens ins Bad zu gehen und alles, was ich benötige, ist schon da. Genau diese Kleinigkeiten, über die man sich dann freut, machen diese Erfahrung so wertvoll. Die Veränderung der Definition von Luxus, bedeutet für uns eine Erleichterung in Hinblick auf unser zukünftiges Leben. Noch vor wenigen Jahren habe ich von den typischen monetären Statussymbolen, wie z.B. einem schicken Auto oder einem großen Haus geträumt. Das war meine Definition von Luxus. Teuer, schick, modern, neu, groß, schnell. Und das macht Druck. Denn um sich das leisten zu können, muss man ordentlich Geld verdienen, dafür muss man beruflich sehr erfolgreich sein, dafür muss man eine Karriere aufbauen usw. usw…. Heute ist der größte Luxus für mich, wenn ich etwas tun kann, was ich liebe, wenn ich in der Natur bin und meine Ruhe habe oder von großartigen Menschen umgeben bin. Ein Lagerfeuer am Abend an einem wunderschönen Ort mit den richtigen Menschen würde ich mittlerweile sofort gegen jedes Luxusauto oder ein großes Haus eintauschen. Das Reisen mit einem Rucksack bringt es mit sich, dass man nicht viel mit sich herumschleppen möchte. Denn jedes Kleidungsstück, was du dir kaufst oder dabeihaben möchtest, landet früher oder später auf deinem Rücken. In den letzten Monaten haben wir uns mehrmals verkleinert und immer wieder aussortiert, so dass wir mittlerweile mit einem absoluten Minimum reisen. Und dieses Minimum fühlt sich fantastisch an. Das Großartige daran ist, dass jedes Mal, wenn man in einem Laden etwas sieht, was man sich kaufen möchte, die Überlegung kommt „Möchte ich das auch noch mit mir herumschleppen?“ Und in den meisten Fällen kommt man zu der Erkenntnis: Nein. Ich brauch nicht noch ein T-Shirt oder Pulli oder sonst was. So lange das, was ich habe, noch gut ist, brauche ich nichts Neues. Wir stellen immer wieder fest, was man wirklich vermisst, wenn es nicht mehr da ist und was ein so genanntes „Nice to have“ ist. Vermissen tun wir vor allem die persönlichen Gespräche mit unseren Liebsten aus der Wurzelheimat. Einfach mal zusammensitzen und stundenlang quatschen. Auch wenn es durch die technischen Möglichkeiten heutzutage immer die Möglichkeit gibt, sich über ein Videocall zu sehen und zu sprechen, ist dies nie ein Ersatz für ein persönliches Gespräch, bei dem man nebeneinandersitzt und sich in die Augen schaut. Und auch wenn wir auf unserer Reise immer wieder fantastische Menschen kennenlernen, zu denen wir auch teilweise so schnell eine unglaublich tiefe Verbindung aufbauen, ist es doch etwas Anderes, sich mit Menschen zu unterhalten, die man schon ein paar Jahre kennt und bei denen man sich nicht erst mit seinem halben Lebenslauf vorstellen muss.
Es gab auf unserer Reise einen Moment, an den ich mich noch sehr gut zurückerinnere, der meine Vorstellung von Geld, Luxus und Investitionen komplett verändert hat: Es ist Ende März in Vancouver. Nach einem vierstündigen Flug von Whitehorse, im Yukon, sind wir soeben wieder hier gelandet. Hinter uns liegen zwei Monate, die kaum abenteuerlicher und anders hätten sein können. Abgeschieden von der Außenwelt, haben wir einen Monat mitten im Nichts in der Arktis in einem Camp gelebt. Gefolgt von fast einem Monat Leben auf einer Ziegenfarm, eine halbe Stunde entfernt von der einzig großen Stadt im Yukon. Man kann sich also vorstellen, dass das Großstadtgewusel, viele Menschen und Stress nicht gerade zu unserem Alltag der letzten Wochen gehörten. Und eines, was auch nicht dazugehörte war, dass man auf seine Wertgegenstände aufpassen musste. Denn dort, wo wir die letzten Wochen verbracht haben, gab es ja noch nicht mal jemanden, der diese hätte stehlen können.
Es ist schon spät abends, als wir in Vancouver ankommen, und wir müssen vom Flughafen mit Bahn und Bus zu Susanne fahren, die uns netterweise bei sich aufnimmt. Wir fahren vom Flughafen mit der Bahn in die Innenstadt, um von dort aus den Bus zu nehmen. Und als wir an der U-Bahn-Haltestelle aussteigen, um zum Bus zu gehen, fällt mir auf einmal extrem auf, wie sehr es mich stört, dass ich jetzt ja wieder so bisschen auf meine Sachen aufpassen muss. Nicht, dass es sehr gefährlich dort ist, aber halt das übliche Großstadt-Taschendiebstal-Ding. Und da kommt mir ein Gedanke. Wenn wir jetzt hier an Ort und Stelle ausgeraubt werden und jemand würde uns all unsere Sachen stehlen, wäre viel Geld, dass wir irgendwann mal für Gegenstände wie Kamera, Laptop, Handy, Uhr usw. bezahlt haben, einfach weg. Genau so, wenn man viel Geld in ein eigenes Haus oder ein Auto investiert, kann es passieren, dass dein Haus durch z.B. Feuer oder Wasser zerstört wird oder dein Auto den Geist aufgibt und das investierte Geld weg ist. Aber was dir eine Person oder das Leben niemals nehmen kann, sind deine Erinnerungen. Selbst wenn du nackt dastehst und nichts mehr hast, bleiben dir deine Erinnerungen. Das bedeutet, dass das Geld, was du in Erlebnisse investierst, dir niemals jemand wegnehmen kann und es auch nie an Wert verliert. Ich möchte das Kapitel daher mit der Wiederholung des Eingangszitates schließen: „Die beste Investition ist die in Erfahrungen, die man selbst erlebt.“
„Eine Reise wird besser in Freunden als in Meilen gemessen.“
Die Menschen machen für uns einen großen Teil, wenn nicht sogar den größten Teil, unserer Reise aus. Eine große Erkenntnis aus den 731 Tagen ist für uns, dass du dich an dem hässlichsten, langweiligsten oder beschissensten Ort der Welt befinden kannst, aber mit den richtigen Menschen um dich herum kannst du dort trotzdem eine unvergesslich schöne Zeit haben. Leider funktioniert das Ganze auch andersherum und du kannst an dem schönsten Ort der Welt sein, aber scheiß Menschen um dich herum machen es zu dem grausamsten Ort aller Zeiten. Man kann sich dieses Phänomen vorstellen wir ein Gemälde oder Bild. Wenn du dir ein wunderschönes Bild anschaust, dass in einem hässlichen Rahmen hängt, wird dir trotzdem das Bild positiv in Erinnerung bleiben und du kannst den hässlichen Rahmen sehr gut ignorieren. Aber ein noch so wunderschöner Rahmen wird es nie schaffen, ein hässliches Bild zu einem schönen zu machen und man wird selten sagen: „Also das Bild war hässlich, aber der Rahmen war ja unfassbar schön.“ So ist es auch mit den Erinnerungen. Viele unserer Erinnerungen an Orte oder Erlebnisse sind mit den Menschen verknüpft, die wir auf unserem Weg kennengelernt haben. In ein paar Jahren werden wir wahrscheinlich auch hauptsächlich von diesen Erlebnissen berichten und nicht, wo wir mal einen schönen Ausblick hatten. Fragt man die Menschen, die sich die Mona Lisa angeschaut haben, wird wohl auch kaum jemand sagen können, wie der Rahmen aussieht. Aber jeder wird dir das Bild genau beschreiben können.
Das schöne ist, dass man auf einer solchen Reise immer wieder Menschen kennenlernt, mit denen man viele gleiche Erkenntnisse über das Reisen teilt. Man teilt die Schwierigkeiten, Herausforderungen aber auch die schönen Momente miteinander. Es sind Gedanken, die in der Wurzelheimat wohl kaum jemand richtig nachvollziehen kann. Gedanken wie, die Familie und Freunde zu vermissen, aber gleichzeitig auch das Reisen so zu lieben. Oder Erfahrungen mit schlechten Hostels, ewig langen Busfahrten und schlechtem Essen. Jeder und Jede, die länger reist kann vieles nachvollziehen und oft kommt es zu der freudigen Aussage „Ach ihr auch? Jaa total, das kennen wir auch!“ Und es sind diese Gemeinsamkeiten, die einen schnell mit Fremden auf eine Wellenlänge bringt.
Wir hatten das unglaubliche Glück so viele liebe, herzliche und einfach gute Menschen kennenzulernen. Menschen, die uns bedingungslos bei sich zu Hause aufgenommen und zu einem Teil ihrer Familie gemacht haben. Menschen, die uns geholfen haben. Menschen die uns inspiriert haben. Menschen, die menschlich geblieben sind. Wir haben viele Freundschaften auf dem Weg geschlossen. Und sehen wir es realistisch, werden wir wahrscheinlich nicht zu allen den Kontakt halten können und sie werden irgendwann als Erinnerungen zurückbleiben. Aber auch das ist eine große Lehre des Reisens. Man wird Menschen kennenlernen, mit denen man sich richtig gut versteht. Es braucht manchmal nur Minuten, um von einem Hallo zur Freundschaft zu gelangen und manchmal nur ein paar Tage, um ein Gefühl zu bekommen, als wäre das jetzt mein neuer bester Freund oder beste Freundin. Und manche dieser Menschen werden es vielleicht auch in unser zukünftiges Leben schaffen und man wird einen weiteren gemeinsamen Weg bestreiten. Aber manche Menschen dienen quasi als Brücke, die dir verhilft auf dem Weg zu einem besseren Ich. Menschen, die dich inspirieren, von den du lernst und ein kleines Paket für dich mitnimmst. Sie werden vielleicht nie vergessen sein, aber die Vergangenheit ist alles, was dir mit diesen Menschen bleibt. Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Sie haben ihre Rolle in deinem Leben erfüllt und du gehst niemals schlechter oder dümmer aus diesen Freundschaften heraus. Auch hier muss man wieder akzeptieren, dass dies einfach ein Teil des Reisens ist. Manche Menschen sind eben nur ein Kapitel und nicht das ganze Buch. Wie ich immer gerne sage, dass schönste und gleichzeitig schlimmste am Reisen ist, neue Menschen kennenzulernen. Denn es kommt immer wieder der Moment des Abschiedes, wo oft ungewiss ist, ob es ein Abschied für kurz oder immer ist.
In einer solchen langen Zeit kann man selbstverständlich auch nicht nur immer die tollsten Menschen der Welt treffen. Manchmal gibt es auch Menschen die einen nerven, die unsympathisch sind oder mit denen man einfach nicht auf einer Wellenlänge ist. Aber in 2 Jahren, 10 Ländern, 2 Kontinenten und hunderten Orten sind wir kaum einem Menschen begegnet, der uns wirklich etwas Schlechtes wollte. Im Gegenteil. Oft wurden wir überrascht von der Hilfsbereitschaft der Menschen. Menschen, die auf den ersten Blick einen negativen Eindruck vermittelt haben, die aber dann die herzlichsten und nettesten Menschen waren. Bis zum heutigen Tag versuchen wir stark an unseren Vorurteilen zu arbeiten. Oft hatten wir Situation, wo wir von Menschen angesprochen wurden, die betrunken waren, obdachlos oder einfach auf den ersten Blick nicht ganz vertrauenswürdig. Und am Ende hat sich immer herausgestellt, dass es liebe und nette Menschen sind, die einfach mal kurz quatschen wollen oder auch mal nach Geld fragen, aber selten aufdringlich werden. Jeder Mensch hat es verdient respektvoll behandelt zu werden. Egal welche Herkunft, welchen Zustand er hat oder wie er aussieht. In jedem Menschen steckt irgendwo einfach das Verlangen, nach ein wenig sozialem Austausch. Und uns kostet es nichts, sich kurz respektvoll mit einem Menschen zu unterhalten und ihm das Gefühl zu geben gesehen zu werden. Die wenigsten Menschen wollen uns etwas Böses, solange wir ihnen mit Respekt begegnen.
„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Länder zu suchen, sondern neue Augen zu haben.“
Neben den Menschen, sind auch Tiere, vor allem Hunde, ein stetiger Begleiter unserer Reise. Nicht nur, weil es in Zentral- und Südamerika unglaublich viele Straßenhunde gibt, sondern auch, weil wir immer wieder an Orte kommen, wo wir mit Tieren zusammenleben. Und ich wusste vor zwei Jahren ja gar nicht was ich für ein Hundemensch bin. Der Gedanke, irgendwann mal einen Hund zu haben war ja schon lange da. Aber jetzt? Jetzt wurde aus dem Gedanken ein fester Plan und fast das Einzige, was für uns feststeht, sobald wir wieder in unser Wurzelheimat sind. Und vor der Reise, war ich immer noch der Meinung, ich möchte mir gerne einen Welpen aussuchen und auch gucken, was für eine Rasse es ist usw.. Heute, zwei Jahre später, denke ich da ganz anders drüber. Am liebsten einen geretteten Hund. Rasse und Aussehen ist doch egal, Hauptsache der Charakter stimmt. Hunde und auch andere Tiere geben uns etwas, das wir kaum beschreiben können. Und jeder Mensch zu Hause, der ein Haustier hat, wird sich jetzt wahrscheinlich fragen, warum ich das so besonders hervorheben muss. Ist doch ganz klar, dass Hunde und andere Tiere toll sind. Und ja, das war mir vor der Reise auch bewusst, aber wie toll und wie viel mir die Anwesenheit von Tieren gibt, habe ich wirklich erst in den letzten Monaten festgestellt. Als Lara und ich auf der Ziegenfarm im Yukon, mal draußen vor der Haustür auf der Treppe des Hauses saßen, umgeben von vier Hunden und zwei Ziegen und die Sonne genossen haben, habe ich gedacht: Ist es nicht faszinierend, wie sehr sich ein Ort oder ein Moment ändern kann, nur durch die Anwesenheit eines Tieres? Alles macht so viel mehr Sinn, wenn ein Tier dabei ist. Oder jetzt kürzlich bei unserer Arbeit in einer Hunde Auffangstation in Chile. Wir haben teilweise Stunden damit verbracht, einfach dazuliegen mit den Hunden und mit ihnen zu kuscheln. So entspannt wie dort, mit den Hunden, habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie geben uns einfach so viel mehr, als wir ihnen jemals wiedergeben könnten. An dieser Stelle ein kleiner moralischer Einschub: Bitte bitte bitte: Adopt, don´t shop. Es gibt tausende Hunde überall auf dieser Welt, die sich nur danach sehnen ein schönes zu Hause und ein bisschen Liebe zu bekommen. Alle Straßenhunde, die uns bisher begegnet sind, sind so liebevolle Wesen, die es so sehr genießen, wenn wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen, sie streicheln und ihnen ein, wenn auch kurzes, Gefühl der Sicherheit und Liebe geben. Diese wundervollen Wesen, die uns Menschen so loyal gegenüber sind und uns so bedingungslos lieben, haben es verdient ein bisschen Liebe zurückzubekommen. Und selbstverständlich haben nicht nur Hunde das verdient. Kein Tier der Welt hat es verdient respektlos oder gewaltsam behandelt zu werden!
„Reisen lässt dich sprachlos, dann verwandelt es dich in einen Geschichtenerzähler.“
Aus der Ferne betrachtet ist das, was wir hier machen, ein absolutes Traumleben. Und das stimmt. Wir leben unseren Traum. Wir sehen Orte, die wir uns in unseren schönsten Träumen niemals so schön ausgemalt hätten. Erleben Abenteuer, die wir uns nicht vorstellen konnten. Treffen Menschen, von denen wir so viel lernen. Wir sehen Lebensweisen, Kulturen, Traditionen, die so fern von unserem Leben in Deutschland sind, dass es nur schwer zu beschreiben ist. Wir lernen neue Sprachen, probieren hunderte neue Gerichte und arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen. Manchmal könnte man denken, unser Leben ist perfekt. Und das möchte ich gerne noch mal betonen: Es ist das beste Leben, was wir uns zurzeit vorstellen können. Aber bei weitem nicht alles ist perfekt. Es ist wichtig, auch mal von den Dingen zu sprechen, die halt nicht perfekt sind. Die auch schwierig, herausfordernd oder manchmal auch einfach nur scheiße sind. Lange Zeit fiel es uns sehr schwer, offen über diese negativen Seiten zu sprechen. Wir hatten immer das Gefühl, dass andere dann denken „Ach jetzt beschweren die sich auch noch.“ „Wenn es so scheiße ist, warum machen sie es dann?“ „Die führen doch ein Traumleben, da kann man sich doch nicht beschweren!“ usw.. Aber zuallererst einmal, ist es höchstwahrscheinlich gar nicht der Fall, dass Menschen so denken, und wenn doch… schade! Denn wir haben irgendwann gesagt, wir wollen nicht toxisch positiv sein. Wir wollen nicht so tun, als sei alles super duper und perfekt. Den jeder mit ein bisschen Verstand, wird sich vorstellen können, dass in 731 Tagen eben nicht jeder Tag Sonnenschein, heile Welt und Heiterkeit ist. Nein, dieses Leben, was wir führen, kommt auch mit einigen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Und uns ist es wichtig, auch diese Seiten zu thematisieren. In unserer heutigen, von Social Media beeinflussten Welt, wird so viel Schein und Fake aufrechterhalten, dass es wichtig ist, auch mal zu sagen, dass nicht alles toll ist. Und ja, einiges über das wir uns manchmal beschweren sind vielleicht so genannte „First World Problems“. Aber hat nicht jeder das Recht, sich auch mal über die aufzuregen? Kann nicht jeder mal sagen, dass Dinge auch mal nicht so geil sind? Wenn wir uns stetig vergleichen und sagen „Beschwere dich mal nicht, guck dir mal … Menschen an, wie schlecht es denen geht“ dann dürfte sich wohl kaum jemand, vor allem in Deutschland, beschweren. Und beschweren oder negative Seiten aufzeigen ist ja nicht gleich jammern. Denn das können wir Deutschen ja sowieso sehr gut. Es ist der Versuch ein wenig Realität aufzuzeigen in der sonst so perfekten Welt eines Langzeit-Reisenden.
Bereits bei der Planung unserer Reise, haben wir gemerkt, dass die Erfüllung unseres Traumes auch von einigen Entbehrungen und Schmerzen begleitet wird. Damit sind jetzt nicht die bereits erwähnten Luxus- oder Konsumgüter gemeint, sondern viel mehr die menschlichen Entbehrungen. Denn wenn wir losziehen, bedeutet es auch, dass viele zurückbleiben. Viele Menschen, die wir lieben und die uns lieben, mit denen wir so viel Zeit verbracht haben und gemeinsame Erinnerungen teilen. Wir mussten uns auch eingestehen, dass wir diese Menschen, mit unserer Entscheidung durchaus verletzen. Und es ist nicht so, dass uns das niemand gegönnt hat, bei weitem nicht. Aber viele sind traurig, zu wissen, dass wir uns lange nicht sehen werden. Und dass noch nicht mal jemand sagen kann, wie lange es sein wird. Und auch wir sind traurig. Es war damals ein seltsamer Mix an Gefühlen zwischen Vorfreude und Abschiedsschmerz. Zwischen „Juhuu es geht los“ und „Ach du scheiße, schmerzt der Abschied“. Unsere Liebsten weinen zu sehen und zu wissen, dass sie nur weinen auf Grund einer Entscheidung, die wir getroffen haben, tat weh. Wir fühlten uns schuldig. Schuldig für die traurigen Gefühle unserer liebsten Mitmenschen. Und das ist ja schließlich das letzte, was man erreichen möchte. Wer möchte schon erreichen, seine Liebsten zum Weinen zu bringen? Aber all das sind eben auch die negativen Begleiterscheinungen unseres Traumes. Dazu kommen etliche Feiern, Geburtstage oder Weihnachtsfeste die man verpasst. Das Aufwachsen und die ersten Jahre eines Familienmitgliedes, dass wir nun nur aus der Ferne mitbekommen. Beim Abschied wenige Wochen alt und irgendwann beim Wiedersehen, wird er uns entgegenlaufen und vollquatschen. Natürlich schmerzt es, diese unheimlich schöne Zeit eines Kindes zu verpassen. Aber wenn man auf all diese Moment wartet und sich immer wieder sagt „Jetzt können wir nicht los, weil….“ Dann wird man wohl nie in den Flieger steigen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir durch diese Reise am Ende unseren Mitmenschen ein(e) bessere(r) Freundin/Freund, Tochter/Sohn, Bruder, Schwiegertochter/Schwiegersohn, Nichte/Neffe oder Tante/Onkel sein können und wir alle dadurch gewonnen haben und sich die Entbehrung lohnen wird.
Aber auch während der Reise gibt es einige Herausforderungen zu meistern. Vieles, was uns im Alltag in Deutschland nicht so viel Kraft gekostet hat, kostet uns hier umso mehr Kraft. Oder auch einiges, was vorher schon schwierig war, wird durch ein solches Leben meist noch schwieriger. Zum Beispiel ist krank sein auf der Reise ein sehr beschissenes Thema. Nicht, dass es zu Hause ein tolles Thema ist, aber hier ist es nochmal ganz anders. Denn wenn wir krank werden, können wir meistens nicht einfach in unserem eigenen Bettchen oder Sofa liegen, bis wir wieder gesund sind. Wir können nicht einfach mal eben zu dem Arzt um die Ecke gehen, den wir schon kennen und wo wir wissen, dass wir ihm vertrauen können. Krank sein auf einer Reise bedeutet auch immer Hürden zu überwinden. Es fängt bei der Sprache an, geht über die Frage, wem kann ich vertrauen, wo gibt es überhaupt Ärzte, wie komme ich dahin und wie bekomme ich dort einen Termin bis hin zu wie gut ist dieser Arzt und ist das was er macht wirklich das richtige? Wir waren öfters konfrontiert mit Medikamenten, die so gar nicht in der EU zugelassen sind oder Heilungsansätzen, die auf den ersten Blick nicht sehr vertrauenswürdig klingen. Vor allem für eine chronisch kranke Person, ist Reisen eine große Herausforderung und erfordert viel Kraft und Recherche, um nicht einer falschen medizinischen Versorgung zu unterliegen. Und bei jedem Arztbesuch fängt man wieder von ganz vorne an. Denn woher soll ein Arzt oder eine Ärztin in Chile auch die Informationen haben, die der Arzt oder die Ärztin in Mexiko hat? Dazu kommt, dass einige Behandlungen Zeit benötigen. Es gibt den ersten Termin beim Arzt, dann muss ein Test gemacht werden, es vergehen einige Tage bis die Ergebnisse da sind, wieder ein paar Tage bis man nochmal zum Arzt kann, um zu besprechen, wie es weiter geht, die Medikamente brauchen dann in der Apotheke auch manchmal ein paar Tage bis sie verfügbar sind und so geht es munter weiter. Und was haben wir meistens nicht so viel auf der Reise (außer Geld), genau, Zeit. Also natürlich haben wir grundsätzlich viel Zeit. Aber wir bleiben selten mehrere Wochen an einem Ort. Und manchmal würde es diese Zeit für eine vernünftige Behandlung aber benötigen. Und daher geht man dann im nächsten Ort zum nächsten Arzt und es geht wieder von vorne los. Alles eben nicht so einfach. Aber irgendwie machbar. Es sollte nur aufzeigen, dass etwas so selbstverständliches wie „Oh ich bin krank, gehe zum Arzt, bekomme eine Behandlung und ruhe mich zu Hause aus, bis es mir besser geht“ eben hier ganz und gar nicht selbstverständlich ist.
Ein immer wiederkehrendes Thema ist auch die Reisemüdigkeit. Reisemüdigkeit ist ein großer Feind, eines jeden Langzeitreisenden und die meisten, mit denen wir sprechen, haben irgendwann ihre Erfahrung damit gemacht. Das gemeine ist, dass die Reisemüdigkeit meistens schleichend kommt und man sie vor allem am Anfang der Reise nicht versteht. Reisemüdigkeit macht sich dadurch bemerkbar, dass man irgendwann die Lust und Motivation verliert neue Dinge zu sehen oder zu erleben. Man kommt an einen neuen Ort und denkt sich „Joaaa…Nett“. Wanderungen, Ausflüge, Sehenswürdigkeiten oder soziale Events fühlen sich auf einmal eher an, als sei es eine Pflicht, anstatt etwas wo man jetzt total Bock drauf hat. Generell ist man auch energielos und würde am liebsten den ganzen Tag einfach irgendwo in der Unterkunft entspannen. Irgendwann sind diese vielen Eindrücke, die körperliche Anstrengungen und die ständigen Ortswechsel einfach zu viel für den Kopf und Körper. Dann braucht man eine Pause. Manchmal reichen ein paar Tage an einem Ort, wo man nicht viel unternimmt, und manchmal müssen es ein paar Wochen sein. Für uns sind immer wieder die „Workaways“, also Freiwilligenarbeiten, bei denen man ein paar Stunden arbeitet und dafür meist eine Unterkunft und etwas Essen gestellt bekommt, eine gute Möglichkeit uns eine solche Pause zu nehmen. Richtig, die Arbeit ist für uns zum Urlaub geworden. Es ist dann tatsächlich mal richtig entspannt, einen Alltag zu haben, länger an einem Ort zu sein, seine feste Unterkunft zu haben und nicht täglich neue Eindrücke zu bekommen. Wie schön es ist, wenn man sich denkt „Ach, lohnt sich ja endlich mal wieder den Rucksack auszupacken.“. Viele tagtägliche Entscheidungen, die sonst auf der Reise getroffen werden müssen, fallen weg und man kann sich mal voll und ganz hängen lassen. Und das schönste Gefühl ist es, wenn wir zum Ende hin merken, dass uns das Reisefieber wieder packt und wir so richtig Lust bekommen wieder weiterzureisen.
Es gäbe noch einige weitere negative Erlebnisse, die man an dieser Stelle erzählen könnte. Viele Probleme mit Autos, Dinge, die nicht so liefen wie geplant, Geld, dass uns im Hotel gestohlen wurde, eine Vulkanwanderung, bei der es keinen Vulkan zu sehen gab, Unterkünfte, die beschissen waren, Menschen, mit denen man sich rumgeärgert hat, Beschissene Transportmittel, Nachtflüge, ewig lange Busfahrten und und und…. Aber nichts von all dem, macht unser Gesamterlebnis zu einer negativen Erfahrung. Wir lieben das was wir tun, nach wie vor und sind unfassbar glücklich und dankbar, dass wir das hier gerade machen dürfen. Viele der negativen Erlebnisse, werden wahrscheinlich in Zukunft zu witzigen Geschichten, die man erzählt. Und aus vielem Negativen kann man auch lernen und so etwas Positives für die Zukunft mitnehmen.
„Nichts ist vergleichbar mit dem Gefühl, an einen vertrauten Ort zurückzukehren und zu merken, wie sehr man sich verändert hat.“
Eine Frage, die uns nur selten von Außenstehenden gestellt wird, die uns aber auch schon lange beschäftigt ist: Wovor haben wir Angst? Haben wir überhaupt Angst vor etwas, wenn wir gerade unseren Traum leben? Ja! Definitiv. Etwas wovor wir momentan noch wirklich viel Angst haben, ist der Tag, an dem wir unseren Rückflug buchen. Natürlich wird für uns dieses Leben als Reisende irgendwann ein Ende haben. Noch wissen wir nicht wann, aber irgendwann werden wir uns wohl eingestehen müssen, dass uns entweder das Geld oder die Energie langsam ausgeht. Und dann gibt es diesen einen Tag. Diesen einen Moment, in dem wir auf irgendeiner Internetseite auf diesen einen Button klicken: „Jetzt Buchen“. Und dann wird es mit einem Mausklick entschieden sein, dass wir unser Traumleben nun endgültig beenden. Und davor haben wir Angst. Auch wenn dieser Moment mit viel Vorfreude gefüllt sein wird. Endlich wieder zurück in die Wurzelheimat. Endlich wieder all die Menschen sehen und in den Arm zu nehmen, die wir nun so lange nicht gesehen haben. Endlich wieder stundenlange Gespräche führen und Zeit mit seinen Liebsten verbringen. Es ist wahr! Der Gedanke an Heimat hat auch immer ein Wunsch nach Rückkehr in sich. Und so ist es auch. Wir hoffen nur sehr, dass wir all das, was wir für und über uns auf dieser Reise gelernt haben, auch irgendwann in unser Leben nach der Reise mitnehmen und verwirklichen können. All die Erkenntnisse, die wir bis jetzt hatten und bis zur Rückkehr haben werden. Es ist eben wieder einmal die Angst vor dem Ungewissen. Die Angst vor der dunklen Höhle. Aber eines ist gewiss und steht jetzt schon fest: Wir wollen alles tun um nach unserem Traumleben als Reisende, unser nächstes Traumleben zu führen….. mit Hunden (oder anderen Tieren)! Bis dahin tun wir weiterhin das, was wir momentan so sehr lieben und unser Leben nennen dürfen: Reisen.
„Das schönste Geschenk, das du dir machen kannst, ist eine Reise.“