Du betrachtest gerade

GO WEST - DIE ÜBERFAHRT

Mittlerweile ist es Mitte Oktober. Unser Ziel war es immer, bis spätestens Ende Oktober die Rocky Mountains zu überqueren, denn ab November steigt die Schneewahrscheinlichkeit extrem. Also haben wir nun noch ca. 2,5 Wochen, um einmal quer durch Kanada zu fahren. Naja, wird sportlich, aber kann was werden. Vor uns liegen mehr als 6.000 km (direkte Strecke, Abstecher nicht mit eingerechnet). Als Vergleich: Fährt man von Hamburg aus 6.000 km, kommt man bis nach Afghanistan. Wenn mir jemand sagen würde: „Hey wieso nimmst du nicht ein 40 Jahre altes Auto, was aus irgendeinem unbekannten Grund gerade liegen geblieben ist, oder was dir fast abgefackelt wäre, und fährst damit mal nach Afghanistan?“, dann würde ich diesem Menschen wohlmöglich den Vogel zeigen und dankend ablehnen. Aber hier in Kanada? Ach, was soll schon passieren (Spoiler Alert: wenn wir mal gewusst hätten).

Also los, keine Zeit verlieren. Jonas und Linus einsammeln und ab dafür. Wir sind alle einfach froh endlich loszukommen. Auch die Jungs haben seit über einer Woche mitgebangt, da auch ihr Abenteuer davon abhing.

Da es noch den ein oder anderen Ort gibt, den wir uns auf der Strecke angucken wollen, fahren wir nicht einfach stumpf durch. Naja noch nicht. Unser erstes Ziel auf der Reise gen Westen sind die „Hopewell Rocks“. Ein Küstenabschnitt in New Brunswick (und u.a. hier zeigt sich endlich auch mal die schöne Seite von New Brunswick) in dem es den höchsten Tidenhub der Welt zu bestaunen gibt. Die Hopewell Rocks sind Felsen, die man bei Ebbe dort vom Strand aus bestaunen kann und bei Flut sind sie meterhoch vom Wasser verdeckt. Eindrucksvolle Felsen, da die Gezeiten das Gestein mit der Zeit immer weiter abgetragen haben und somit ein dünner Hals entsteht, auf dem oben dann die dicken Felsen sitzen, die aus dem Wasser rausgucken.

Weiter geht es durch das malerische New Brunswick. Auch hier ist der Indian Summer in vollem Gange und macht aus der Landschaft eine beeindruckende Farbenpracht. Danke Mausi an dieser Stelle, denn vor ein paar Tagen sah das Ganze bestimmt noch nicht so eindrucksvoll aus hier. Wir sind wieder sehr optimistisch. Das Klopfen ist weg und allgemein läuft Mausi echt gut. Wir machen auf dem Weg durch New Brunswick noch ein paar kleine Wanderungen und gehen auch nochmal an einem Wasserfall baden.Mit den Jungs ist es echt cool. Wir verstehen uns gut, können unseren Musikgeschmack teilen und haben gute Gespräche. Die beiden sind einfach so herrlich unkompliziert.

Wir kommen durch Grand Falls, einer Kleinstadt direkt an der US-Grenze. Eigentlich gibt es in dieser Stadt überhaupt nichts Spektakuläres (außer vielleicht irgendwelche namensgebende großen Wasserfälle), aber für uns soll wohl auch Grand Falls noch lange in Erinnerung bleiben. Wir müssen tanken. Fahren runter vom Highway zur Tankstelle, tanken, essen und fahren weiter. Naja zu mindestens so 200m. Gleiches Problem wie bei der Werkstatt. Auto nimmt kein Gas mehr an, Auto geht aus, Auto geht nicht wieder an. Kacke. Und nun? Natürlich regnet es und es ist kalt, weil es sonst viel zu einfach wäre. Wir räumen die Motorhaube frei (denn die Motorhaube liegt schließlich unter unserem Bett, unter der Matratze, unter dem Gepäck von den Jungs) und ich mache mich ans Werk. Was könnte das Problem sein. Ich sehe, dass der Benzinfilter leer ist. Das heißt, dass der Motor anscheinend schon wieder kein Sprit bekommt. Zum Glück war ich bei der ganzen Aktion, ein paar Tage vorher, in der Werkstatt dabei und wusste so bisschen was der Mechaniker in diesem Fall gemacht hat. Er hat letztendlich das Benzin manuell durch die Benzinpumpe aus dem Tank gezogen und dann lief es wieder. Problem ist, wir haben nichts, womit ich das Benzin ansaugen kann. Also versuchen wir was anderes. Lara googelt in der Zwischenzeit und recherchiert. Irgendwo findet sie die Info, dass die Schwimmerkammer des Vergasers leer sein könnte und somit kein Sprit mehr ankommt. Also heißt es für mich, eine OP am offenen Herzen. Vergaser aufschrauben. Zum Üben schnappe ich mir, unseren vorhin erwähnten, alten Vergaser. Als ich herausfinde, wie ich an die Schwimmerkammer komme, mache ich mich an unseren eigentlichen Vergaser. Da, endlich, ich bin an der Schwimmerkammer angekommen und sie ist tatsächlich leer. Aber wie zur Hölle bekomme ich da nun das Benzin rein. Kurzerhand bastele ich mir aus einer kleinen Plastikflasche und einem kleinen Schlauch vom alten Vergaser eine Art Trichter. So konnte ich die Schwimmerkammer wieder auffüllen. Um sicher zu gehen, versuchen wir auch noch alle Zuleitungen und den Benzinfilter manuell mit meinem Trichter zu befüllen. Ich starte den Motor und er läuft. Kurz. Dann geht er wieder aus. Scheiße. Der Motor hat einfach den Sprit, den ich ihm manuell gegeben habe, verbrannt, aber es kam immer noch kein neuer Sprit an. Was nun? Es wird immer später, nasser, kälter und ungemütlicher. Wir vier sind ein super Team. Lara recherchiert, ich bastele rum und die Jungs stehen mir beiseite und helfen mir. Immer wieder bringen sie echt gute Anmerkungen und ich bin in diesem Moment einfach froh, dass sie dabei sind, denn sie sind eine gute Stütze, vor allem mental. Gleichzeit habe ich ein schlechtes Gewissen, dass sie jetzt wegen uns hier in so einem kleinen Scheißkaff festsitzen. Aber gut, die Risiken hatten wir ihnen ja klar und deutlich kommuniziert. Trotzdem bleibt das schlechte Gewissen. Was man noch zu der ganzen Situation erwähnen muss, ist, dass es ein Samstagnachmittag ist. Was bedeutet, dass sowohl heute als auch morgen alle Werkstätten geschlossen haben. Großartig, da bleibt man schon zu mindestens in so einer Kleinstadt liegen und nicht mitten im Nichts, aber dann ausgerechnet an einem Wochenende. Achja und wo wir standen? Auf einem großen Schotterplatz zwischen dem Highway und der Straße die von der Tankstelle in die Stadt reinführt. Um uns herum nur ein Hotel und ein paar Autohäuser (die natürlich auch geschlossen waren). Also keine Hilfe weit und breit. Wir telefonieren auch noch mit der CAA (dem kanadischen ADAC) und erfahren, dass die uns bestenfalls bis zu 160km abschleppen können. Aber wohin? Zu irgendeiner geschlossenen Werkstatt, die uns am Montag dann sagen „Sorry but we don`t schrauben on solche alten german cars here!“? Also auch keine Option. Mir viel ein, dass es im Autoteilezubehör eine Art Handpumpe gibt, mit der man Flüssigkeiten aus einem Tank herausziehen kann. Da es in Grand Falls einen Canadian Tire gibt (das kanadische ATU und ungefähr in jedem kleinen Dorf vorhanden) gucke ich online ob die so eine Pumpe vor Ort haben. Und das haben sie. Gut, aber wie kommen wir dahin? Zu Fuß? Das dauert über eine Stunde für eine Strecke. Lara kommt auf die Idee zu trampen. Es muss doch jemanden geben, der in die Richtung fährt und die Kanadier sind ja schließlich alle so nett und freundlich und hilfsbereit. Nope. Sind sie nicht. Zu mindestens nicht in Grand Falls. Eine Stunde lang probieren wir es, aber werden bestenfalls komisch angeguckt. Nagut, also Taxi. Long Story short. Nachdem Lara endlich mal ein Taxiunternehmen gefunden hat, was ans Telefon gegangen ist oder wo man überhaupt durchkommt und die Nummer stimmt, werden wir von einer vermeintlich betrunkenen Taxifahrerin in ihrem Privatauto zu Canadian Tire gefahren. Auf dem Weg dahin, muss sie dann nochmal eine Freundin aufsammeln, die dann mit uns im Auto sitzt und die ganze Zeit laut telefoniert, in einer Sprache, dessen Worte französisch klingen aber vom Tonfall eher an arabisch erinnern. Naja egal, Hauptsache wir haben das Teil und sie fährt uns zurück zu Mausi. Mittlerweile ist es komplett dunkel und die Jungs sind schon halb erfroren, da sie die ganze Zeit im Van warten mussten. Mit Stirnlampe geht es wieder ans Werk und ich ziehe das Benzin nun mit der Pumpe, bzw. eher übergroßen Spritze, manuell durch die Benzinpumpe. Alles wieder zusammenstecken und Motor anschmeißen. Er springt an und läuft. Und läuft. Ich sitze vorne auf dem Fahrersitz und höre die euphorischen Rufe von den anderen drein „Es läuft, es läuft, es läuft“. Was sie damit meinen, ist, dass das Benzin in den Benzinfilter läuft. Das bedeutet der Motor zieht wieder Sprit. Und ja, der Motor geht nicht wieder aus. Ich kann es kaum glauben. Wir Vier haben das Problem tatsächlich ganz allein gelöst. Das fühlt sich schon verdammt gut an und ein gewisser Stolz macht sich breit. Dann, als hätten wir es geplant, ein Feuerwerk. Und ich meine ein tatsächlich echtes Feuerwerk, dass genau in diesem Moment nur unweit von uns losgeht. So als würde Grand Falls uns feiern und sich freuen, dass wir endlich wieder weiter fahren können. Und mit diesem Gefühl der Euphorie geht es für uns dann tatsächlich auch weiter.

Wir hatten uns ursprünglich Riviere-du-Loup am Sankt-Lorenz-Strom als Tagesziel gesetzt. Und das wollen wir jetzt auch noch erreichen. Es ist zwar schon Dunkel, aber egal. Wir fahren jetzt noch diese 180 Kilometer nach Riviere-du-Loup und morgen früh geht es gleich weiter bis nach Montreal, zu Heiner. Der hatte uns nämlich schon am Cape Breton angeboten, dass wenn wir an Montreal vorbeikommen, wir bei ihm vorbeikommen können und auch gerne eine Nacht bleiben dürfen. Und das Angebot wollen wir uns, vor Allem nach diesem Tag, nicht entgehen lassen.

Von Riviere-du-Loup nach Montreal sind es noch 430 km. Also müssen wir nur noch mindestens 270 km schaffen. So zu mindestens unsere Rechnung, denn dann können wir die restlichen 160 km notfalls bis nach Montreal geschleppt werden. Es ist ein sehr regnerischer Tag und die Stimmung nach dem gestrigen Tag ist, trotz unseres letztendlichen Erfolges, mal wieder gedrückt. Lara und ich überlegen viel hin und her auf der Fahrt. Sollen wir es wirklich wagen mit dem Auto ganz rüberzufahren? Sollen wir das Auto vielleicht lieber in Montreal lassen und fliegen? Vielleicht sollten wir das Auto jetzt schnell dort verkaufen? Oder wir bleiben gleich ganz in Montreal und verbringen den Winter dort? Viele Optionen gehen uns durch den Kopf. Klar, die Option rüberzufahren gibt es auch noch, aber irgendwie haben wir gerade den Optimismus und das Vertrauen in unser Auto verloren. Wir fragen die Jungs, was deren Meinung ist und sagen auch, dass wir es absolut verstehen könnten, wenn sie jetzt von Montreal lieber fliegen würden. Aber die beiden sind immer noch so herrlich optimistisch und sagen „Was soll schon schief gehen?“ „Wir wissen ja jetzt was wir zu tun haben, wenn es nochmal passiert.“ Und ich merke, dass ich früher auch mal so herrlich optimistisch war wie die beiden. Und dass das etwas Schönes ist, was ich anscheinend mit dem Erwachsen werden ein wenig verloren habe. Aber sie schaffen es auch, uns etwas Mut damit zu machen. Wir verschieben die endgültige Entscheidung auf später und fahren erstmal, ohne Abschlepper, zu Heiner. Es fühlt sich ein wenig seltsam an, nach 2,5 Monaten on Tour, wieder zurück nach Montreal zu kommen. Es ist ein bisschen wie „nach Hause kommen“ nur dass wir hier kein zu Hause mehr haben. Wobei eigentlich ja schon, wir haben überall dort ein zu Hause, wo wir mit Mausi hinfahren. Und genau das ist einer der schönsten Seiten am Vanlife.

Die Ankunft fühlt sich an wie ein Etappensieg. Heiner hat für uns gebacken. Es gibt Kaffee und Kuchen. Wir können duschen, ja sogar Wäsche waschen und im Warmen und Trockenen bei ihm in der Wohnung übernachten. Heiner räumt für Lara und mich extra seinen Schreibtisch aus seinem Büro in sein Schlafzimmer, damit wir dort auf einer Matratze schlafen können. Einfach zu lieb dieser Mann. Wir gehen abends Essen und spielen Spiele bei Heiner, während er uns eine Verköstigung seiner Schnappsbar bietet. Herrlich, Heiner ist ein so wunderbarer, herzensguter und willkommender Mensch. Es ist ein Segen, solche Menschen auf unserer Reise zu treffen. Aber auch wenn wir einen superschönen Abend und eine geile Zeit bei Heiner haben, bleibt immer noch eine Entscheidung, die wir treffen müssen.

Nach Rücksprache mit einigen Personen zu Hause, die sich gut mit dem Auto auskennen und unserer Internetrecherche, vermuten wir hinter all den Problemen eine defekte Benzinpumpe. Also kein Problem, denken wir uns. Lass uns einfach eine Benzinpumpe organisieren, austauschen und dann sind wir auf der sicheren Seite. Aber nein. So einfach sollte es, wieder einmal, nicht sein. Wir gucken bei mehreren Onlinehändlern hier in Kanada und telefonieren mit zwei Shops, die sich auf alte VW bzw. sogar T3 Teile spezialisiert haben. Aber nichts. Nirgendwo in Nordamerika scheint es eine passende Benzinpumpe zu geben. Anscheinend wurde diese Art der Benzinpumpe nur bei Vergasern eingebaut und naja… Here we go again. Wir checken Onlineshops in Deutschland und finden etliche mit genau dieser Benzinpumpe im Angebot. Kurzerhand bestellen wir dort eine und lassen sie zu Laras Mutter senden. Was uns das in Kanada bringt? Garnichts! Aber immerhin haben wir das Gefühl, dass schonmal eine Benzinpumpe unterwegs ist. Wir gehen die Möglichkeiten durch, ob Laras Mutter die Pumpe vielleicht irgendwo hinschicken kann, wo wir auf dem Weg nach Vancouver vorbeikommen. Aber es ist uns alles zu unsicher. Wir entscheiden, dass sie die Pumpe einfach mitbringen soll, wenn sie uns an Weihnachten besuchen kommt. Sollten wir vorher liegen bleiben und die Pumpe benötigen, müssen wir halt warten und unsere Pläne ändern. Wir erklären Jonas und Linus auch nochmal das Risiko, dass wir evtl. irgendwo im Nirgendwo liegen bleiben könnten und nicht mehr weiterkommen. Und dass die Weiterreise dann, wie auch immer diese aussieht, teurer und komplizierter werden könnte als geplant. Aber sie bleiben uns und vor Allem Mausi immer noch treu und zögern wieder einmal keine Sekunde. Echt stark! Ich hoffe zu diesem Zeitpunkt, mir von dem Optimismus wieder was abgucken zu können und gleichzeitig wünsche ich mir sehr, dass der Optimismus nicht enttäuscht wird. Also geht es los. Wir verabschieden uns von Heiner und hoffen sehr, ihn irgendwann, irgendwo wiedersehen zu können. Auch wieder einer dieser wundervollen „zufälligen Begegnungen“.

Also, Vancouver ins Navi eingeben und ab dafür. Nein so einfach geht es natürlich nicht. Es liegen immer noch mindestens 4500 km vor uns, mit teils anspruchsvollen Gebieten. Wir planen jeden Tag mindestens 300 km zu fahren, damit wir noch rechtzeitig über die Rocky Mountains kommen. Es nervt uns schon ein wenig, dass wir uns jetzt so beeilen müssen, versuchen aber trotzdem noch ein paar Stopps auf der Strecke einzulegen, die wir uns gerne noch anschauen würden. Uns ist bewusst, dass wir wahrscheinlich alles, von Montreal bis zu den Rocky Mountains, auch nicht noch mal bereisen werden. Das Gefühl, dass ich in Halifax beschrieben habe, immer weiter zu wollen, um etwas zu schaffen, ist jetzt sehr stark. Mit jedem Kilometer denke ich mir, wir sind wieder einen Schritt näher an Vancouver und Mausi hält noch durch. Auch hier ist es natürlich kein hilfreicher Gedanke, aber ignorieren kann ich es nicht. Das bringt uns letztendlich auch dazu, das Tagesziel von 300km meistens weit zu überschreiten. Mein Gedanke ist immer, wenn wir an zwei Tagen nur 150km mehr als geplant schaffen, sind wir schon einen Tag früher durch die Rockys. Dennoch versuchen wir alle die Fahrt zu genießen und tun das auch. Wir sitzen zwar jeden Tag viel im Auto, aber machen an schönen Orten immer mal wieder eine Pause. Und da wir auch eher gemütlich mit 80 km/h unterwegs sind, gibt es unterwegs schon vieles zu entdecken. Und letztendlich ist der Weg ja auch in gewisser Weise das Ziel. Jeden Abend suchen wir uns möglichst schöne Spots zum Übernachten raus und genießen dann auch das Camperleben. Wenn wir ankommen und ein Gewässer in der Nähe ist, verschwinden Jonas und Linus meistens direkt mit ihrer Angel. Während Lara und Ich uns dann um das Abendbrot kümmern, bauen die Jungs ihr Zelt auf und kümmern sich später um den Abwasch. Und so geben wir ein super Team ab. Oft sitzen wir abends zu viert im Van, versuchen bestmöglich die Restwärme der Heizung zu genießen, spielen Karten oder quatschen einfach. Wir hatten uns vorher etwas Gedanken gemacht, wie wir wohl hier drin im Van zurechtkommen zu viert, denn viel Platz ist da nicht. Hinten eigentlich nur 3 Sitzplätze und an viel Bewegungsfreiraum war sowieso nicht zu denken. Aber da Linus und Jonas sowas von unkompliziert sind und auch nicht so viel Platz einnehmen, geht das erstaunlich gut. Zum Kochen steht meistens eine Person am Herd und die anderen können dann sitzen. Oder einer sitzt vorne und die anderen drei dann hinten. Alles kein Problem. Was uns eher vor Herausforderung stellt, sind die Kapazitäten unserer Töpfe und Pfannen. Eigentlich gerade genug für 4 Personen, aber wenn zwei davon so viel essen wie eine halbe Fußballmannschaft, wird es doch manchmal knapp. Aber wir können uns arrangieren und finden es auch sehr wichtig, dass alle satt werden. Nichts wäre schlimmer, als wenn irgendjemand ständig Hunger hat. Morgens brechen wir meistens erstmal direkt auf. Es ist eh noch kalt und ungemütlich und so versuchen wir das Auto während der Fahrt schnellstmöglich warm zu bekommen. Manchmal gibt es dann ein Frühstücksservice von der Rückbank. Die Jungs sitzen hinten und schmieren uns Brote. Manchmal ist es dann auch ein Halt bei Tim Hortons, der kanadischen Fast-Food-Kette, wo man dann ein Bagel und einen guten günstigen Kaffee bekommt. So ist es, wenn alles normal läuft… aber normal wäre ja nicht spannend und wahrscheinlich keinen Blockeintrag wert. Hier also nochmal näheres zum genauen Verlauf unserer Reise.

Kurz nachdem wir Montreal verlassen kommen wir wieder an eine Provinzgrenze. Wir verlassen Quebec und passieren das Schild:

"Welcome to Ontario - More to discover"

Mit ca. 250.000 Seen ist Ontario die Provinz mit den meisten Seen in Kanada. Und Junge, wir ahnen jetzt ja noch nicht, wie viele das wirklich sind, an denen wir noch vorbeikommen sollten. Kurz hinter Ottawa machen wir unseren ersten Stopp. Wir übernachten auf einem kleinen Parkplatz direkt am Fluss. Ein schöner Platz. Ruhig und keine Menschenseele, außer uns. Das Wetter spielt auch echt gut mit. Kurz vor unserer Ankunft bekommen wir mal wieder einen atemberaubenden Sonnenuntergang geboten. Am nächsten Morgen machen wir uns gleich auf, weiter gen Westen. Wir suchen immer mehrere Übernachtungsspots raus, die auf der Strecke liegen und schauen dann nachmittags, wie weit wir noch kommen. Heute kommen wir tatsächlich noch fast 600km weit. Yes, das Tagesziel einfach mal verdoppelt. Es ist tatsächlich gar nicht mal so einfach, geeignete Spots zu finden. Wir suchen meistens nach Plätzen mit mindestens einem Plumpsklo, einer Möglichkeit zum Zelt aufschlagen, kostenlos und schön darf er auch gerne noch sein. Nicht ganz leicht, die Jagd nach der eierlegenden Wollmilchsau. Trotzdem finden wir immer wieder echt großartige Spots.

Unser nächster Stellplatz, für den heutigen Abend, sollte uns auch noch lange in Erinnerung bleiben. Wir fahren nach Blind River. Einer kleinen charakterlosen Stadt am Lake Huron, der einer der drei großen Seen ist. Der Platz war einigermaßen ok. Ein Schotterplatz, wieder direkt am Wasser, neben dem Anleger für die örtlichen Fischerboote. Die Jungs finden ein Platz für ihr Zelt und gehen natürlich erstmal angeln. Nach dem Abendessen, es ist bereits dunkel draußen, sitzen wir dann gemeinsam im Van, unterhalten uns und Lara steht am Waschbecken, um den heutigen Abwasch zu erledigen. Sie bemerkt, dass die Lampe über unserer Küchenzeile, ganz schön heiß sei, aber wir schenken dem nicht sonderlich viel Beachtung, da die Lampe immer mal etwas warm wird. Dann flackert das Licht auch noch kurz… naja kann ja mal sein. Aber dann, auf einmal, sagt Lara, dass es verbrannt riecht. Nach verbranntem Plastik. Dann rieche ich es auch. Das bedeutet nichts Gutes, denke ich mir. Ich habe die Hoffnung, dass irgendwas in der Lampe einfach nur überhitzt ist und sage zu Lara, dass sie die Lampe mal ausschalten soll. Und in diesem Moment sehen wir Rauchschwaden, allerdings nicht an der Lampe, sondern auf der anderen Seite des Autos, oben über der B-Säule hinter der Verkleidung heraus wabern. Scheiße. Nicht gut. Wir springen auf und reißen die Schiebetür auf. Der Geruch wird sekündlich immer stärker. Puh, jetzt heißt es schnell handeln und mein Wissen aus den Brandbekämpfungstrainings der letzten Jahre herausholen. Mir ist schnell klar, dass das nur ein Kabelbrand sein kann. Wir müssen den Brandherd lokalisieren. Da der Qualm nun immer mehr aus der Verkleidung über der Schiebetür kommt, schnappe ich mir einen Schraubendreher, um die Verkleidung abzuschrauben. Ich vermute, dass hinter der Verkleidung ein Kabel, dass nach hinten geht, schmort. Nachdem ich aber die Verkleidung größtenteils runter habe, sehe ich, dass alle Kabel intakt sind. Verdammt wo schmort es? In diesem Moment steht Jonas draußen und zeigt auf die B-Säule, aber weiter unten. Dort tritt nun auch Qualm aus. Fuck, also muss es irgendwo in der B-Säule sein. Da kommen wir kaum ran. Ich überlege. Es muss etwas mit dem Kabel zur Lampe zu tun haben. Ob das Kabel durch die B-Säule geht? Wahrscheinlich. Wissen tun wir es nicht. Um ein Brand zu bekämpfen, entzieht man diesem am besten erst mal die Zündquelle, fällt mir ein. Das, was da schmort, und hoffentlich noch nicht brennt, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Kabel. Warum brennt ein Kabel? Meistens weil zu viel Strom über eine zu schwache Leitung geführt wird. Also Strom wegnehmen. Die Batterie! Wir haben zwei Batterien im Auto, die Starterbatterie vorne unter dem Beifahrersitz und eine Verbraucherbatterie im Motorraum. Wie die ganze Elektrik hier genau verlegt ist? Natürlich, haben wir keine Ahnung. Und ich ärgere mich in diesem Moment, dass ich mich bis jetzt noch nicht genauer mit der Verkabelung hier drin beschäftigt habe. Aber die Verbraucherbatterie scheint erstmal die richtige Wahl zu sein. Also ab an den Motorraum. Unser Schloss der Heckklappe, was ab und zu mal klemmt, will sich in der Hektik natürlich gar nicht öffnen lassen. Es fühlt sich in solchen Momentan an, wie Minuten, die ich versuche, das Schloss aufzuschließen. Mir schießen Bilder in den Kopf von abgebrannten Autos, nach so einem Kabelbrand. Und das hier ist, wie schon mal festgestellt, nicht nur unser Auto. Es ist unser zu Hause. Wir haben alles, was wir hier besitzen, in diesem Auto. Fuck, nicht gut solche Gedanken zu haben, aber abstellen kann ich es in diesem Moment nicht. Nach ein paar Versuchen funktioniert es, die Heckklappe ist offen. Unser Motorraum? Naja, wie in Grand Falls auch, liegt der immer noch unter unserem Bett, unter der Matratze, unter dem Gepäck der Jungs. Ich reiße alles raus und schmeiße es auf den Boden. Da! Endlich! Die Batterie! Jetzt nur noch abklemmen und die größte Gefahr ist erst mal gebannt. Wenn sich denn diese scheiß Klemme lösen lassen würde. Verdammt, festgegammelt. Wer weiß, wann die das letzte Mal gelöst wurde. Nagut, Batterie abklemmen also keine Option. Mir fällt ein, dass hinter dem Fahrersitz ja ein extra Sicherungskasten für die Vebraucherbatterie angebracht ist. Ich Idiot, wieso nicht gleich? Egal, jetzt aber. Schnell die richtige Sicherung rausgesucht und rausgenommen. Das heißt es dürfte nun zu mindestens kein Strom mehr auf dem Kabel sein. Jetzt heißt es hoffen, dass man nicht als nächstes einen Brand löschen muss. Ich versuche durch die handbreiten großen Öffnungen der B-Säule hineinzuschauen. Und da, ich sehe ein stark verschmortes Kabel. Aber keine Flammen. Und der Qualm hat auch schon nachgelassen. Puh, das ist schonmal gut. Wir schauen, wie wir das Kabel herausbekommen und ziehen es raus. Junge Junge, ganz schön verschmort. Aber die Gefahr ist vorüber. Wir, und ich denke vor allem Ich, müssen jetzt erstmal wieder runterkommen. Wirklich Mausi? Echt jetzt? Haben die letzten Tage nicht schon gereicht? Was kommt als nächstes? Uns fliegt das Dach weg? Wahnsinn, was man mit so einem alten Camper durchmachen kann. Wir sind heilfroh, dass alles gut gegangen ist. Der Gestank wird wohl noch etwas bleiben, aber das ist ok. Ab ins Bett, Schock verarbeiten und morgen geht es weiter… Und wir hoffen, dass dies die letzte Überraschung gewesen ist.

 

Der Weg durch Ontario führt vorbei an wunderschönen Landschaften. Kleine Seenlandschaften, grün bis rot bewachsene Felsen. Mal geht es rauf in die Berge und mal durch Wälder, die durch den Herbst, in allen Rottönen strahlen. Die Fahrt, entlang der Küste des Lake Superiors, dauert fast zwei volle Tage. Unglaublich wie groß dieser See ist. Der Spitzname der Seen „Great Lakes“ kommt halt nicht von ungefähr. Insgesamt fahren wir fünf Tage lang durch Ontario und sehnen uns langsam danach, endlich nach Manitoba zu kommen. Nicht weil Ontario langweilig ist, ganz im Gegenteil, Ontario ist wunderschön und abwechslungsreich. Aber wenn man das große Ziel vor Augen hat, fühlt es sich an, als würde man nicht vorankommen, wenn man so lange in der gleichen Provinz unterwegs ist. Um nicht nur durchzurauschen, machen wir einen kurzen Zwischenstopp im Lake Superior Provincial Park, wo wir uns, nach einem kleinen Mini-Hike, einige alte Felsenmalereien anschauen können. Das wir dort ganz allein unterwegs sind, an einer sonst sehr von Touristen überlaufenen Attraktion, ist sehr angenehm. Macht uns aber auch wieder bewusst, dass wir zu einer Zeit unterwegs sind, wo „normale“ Leute anscheinend nicht mehr unterwegs sind. Dies sollte auch nochmal deutlich werden, bei unserer letzten Nacht in Ontario, etwa 350km vor der Grenze nach Manitoba. Wir wachen morgens auf, schlüpfen aus dem Bett und… scheiße ist das kalt. Schnell rein in die Klamotten. Schön, auch diese sind arschkalt. Wir machen die Schiebetür auf und das Land ist überzogen mit Raureif. Die Windschutzscheibe ist eingefroren und die Unterhosen, die draußen zum Trocknen hingen, lassen sich jetzt hinstellen. Ich wecke die Jungs in ihrem Zelt und hoffe, dass sie die Nacht gut überstanden haben. Es ist das erste Mal richtig richtig kalt (anscheinend in der Nacht bis zu -4°C) und wir merken, dass wohl bald die Grenze erreicht ist. Aber nützt ja nichts, wie Linus sagen würde. Weiter geht’s. Auf der Fahrt sagt Jonas, dass seine Füße so kalt sind und gar nicht richtig warm werden. Er zieht die Socken aus und die Füße haben eine Farbenpracht wie ein guter Sonnenuntergang: gelb, rot, blau, grün, lila. Von allem etwas dabei. Ach du kacke. Okay ich glaube wir haben die Grenze wohl dann doch letzte Nacht erreicht. Zum Glück versprach uns der Wetterbericht für Manitoba etwas wärmere Temperaturen. Und dann… endlich… das Schild, auf das wir die letzten Tage so sehnsüchtig gewartet haben:

"Manitoba welcomes you"

Whooo Yeaahhh… wir haben es endlich in die nächste Provinz geschafft und sind schon gespannt, was Manitoba wohl landschaftlich zu bieten hat. Und bereits wenige Kilometer hinter der Grenze wird einem klar, nichts. Also wirklich Nichts. Die Straße, die sich die letzten Tage immer wieder auf und ab, rechts und links durch wunderschöne Natur gewunden hat, ist jetzt nur noch eine ewig lange zweispurige Straße geradeaus. Vorbei an Ackern, Bäumen, Ackern, Bäumen, Bäumen und Bäumen. Dagegen wirkt selbst der Norden von New Brunswick wie ein landwirtschaftliches Highlight. Aber gut, umso besser. Da fühlt sich das schnelle Durchrauschen gleich gar nicht mehr so schlimm an. Und man muss dazu auch anmerken, dass wir uns die ganze Zeit auf dem, südlich durchs Land führenden, Trans-Canada-Highway befinden und somit natürlich nur einen kleinen Teil von Manitoba sehen. Sicherlich ist es im Norden von Manitoba auch noch mal viel spannender und schöner. Aber hier halt nicht. Hier ist langweilig. Unser Ziel für den heutigen Tag ist Winnipeg, die Haupt- und gleichzeitig größte Stadt Manitobas. Um uns, nach den letzten kalten Nächten, mal wieder ein wenig aufzuwärmen und die Stadt noch ein bisschen besser erkunden zu können, haben wir uns dort ein Air BnB gebucht. Auf dem Weg dorthin, fahren wir einmal quer durch die Stadt und bekommen so einen kurzen Eindruck. Also Begeisterung sieht wohl anders aus bei uns. Klar, es gibt einige schöne alte Gebäude und vielleicht sind wir auch zur falschen Jahreszeit dort, aber mehr als eine klassische nordamerikanische Großstadt scheint Winnipeg dann doch nicht zu bieten haben. Unser Air BnB liegt in einer, naja sagen wir mal sozialschwachen Gegend. Wir wollen am Abend noch Essen gehen und uns mal wieder was gönnen. Lara sucht ein Burgerladen raus und wir machen uns fertig. Um noch ein bisschen was über Winnipeg zu erfahren, bevor wir gleich durch die Stadt laufen, recherchieren wir noch ein paar Fakten. Oh, wie bitte? Winnipeg hat die zweithöchste Mordrate in Canada? Übergriffe und Raubüberfälle sind hier an der Tagesordnung? Drogen- und Bandenaktivitäten verängstigen die Öffentlichkeit? Achsooo, na dann. Auf geht’s durch die dunklen Straßen unserer „eventuell nicht ganz so sicheren“ Nachbarschaft. Frei nach dem Motto „Was soll schon schief gehen?“. Auf dem Weg zum Restaurant sehen wir an jeder Straßenecke, an jedem Kiosk oder Supermarkt, Plakate von vermissten Personen. Also auch das scheint ein großes Problem hier in Winnipeg zu sein. Naja, aber der Burger ruft. Also weiter. Für den Burger, den wir dort bekommen, hat sich das ganze Risiko dann auch gelohnt. Um es vorwegzunehmen, es wird uns an diesem Abend nichts passieren. Wir kommen sicher zurück zum Air BnB und erleben dabei noch nicht mal ansatzweise eine Situation, die uns Gefährlich erscheint. Aber zum ersten Mal hier in Canada, sind wir mit einem mulmigen Gefühl in der Stadt unterwegs und das ist etwas, woran wir uns nach der ganzen Zeit hier erstmal gewöhnen müssen.

Am nächsten Tag beschließen wir zum „Riding-Mountain-Nationalpark“ zu fahren. Wir bereits gesagt, wollen wir uns auch ein paar wenige Sachen angucken, da wir nicht wissen, ob wir die Chance noch mal bekommen. Das Highlight des Nationalparks sind die dort lebenden Bison Herden. Mit dem Ziel, ein paar Bisons zu sehen, geht es los. Bei der Einfahrt in den Nationalpark sind wir völlig erstaunt. Wow, Manitoba, du kannst es ja doch. Du hast ja doch noch was zu bieten. Wunderschön grüne Nadelwälder, neben einigen größeren Sehen prägen die Landschaft. Es wird auch wieder bisschen bergiger und wir genießen die Umgebung. Wir haben auch das große Glück, die Bison Herde aus nächster Näher zu sehen und eine Weile zu beobachten. Was für massive, große Tiere. Atemberaubend. Ein Stück südlich des Nationalparks, finden wir wieder einen schönen Platz für die kommende Nacht. Die Fahrt dorthin führt über kleine Landstraßen, vorbei an gold-gelben Feldern. Als die Sonne am Horizont untergeht und die Felder in eine goldene Farbenpracht verwandelt, sehen wir, dass auch Manitoba einzigartige Momente zu bieten hat. Sorry Manitoba an dieser Stelle, dass wir zu schnell geurteilt haben! Abends entdecken die Jungs beim Angeln auch noch einen Bieber in dem See und wir fühlen uns einfach nur glücklich über diesen wunderschönen Tag mit einzigartigen Wildtierbegegnungen.

Eine Sache, über die wir nicht so glücklich sind, ist der Wetterbericht für die nächsten Tage. Auf Grund unserer Sorge über Schnee in den Rockys bzw. auch nur die bloße Kälte haben wir die vergangenen Tage stetig den Wetterbericht beobachten. Es war schon lange klar, dass wir in den Rockys Temperaturen um den Gefrierpunkt erreichen könnten. Aber das, was sich jetzt immer mehr herauskristallisiert, ist für uns gar nicht gut. Selbst die Nachrichten sind voll mit den Wettermeldungen der nächsten Tage. Oder nennen wir es Warnmeldungen. Aus dem Norden schiebt sich eine arktische Kaltfront über die östlichen Rocky Mountains und Alberta. Wir sehen, dass die Temperaturen in Calgary und den östlichen Rockys immer früher, immer tiefer gehen, als noch vor wenigen Tagen erwartet. Heute ist Samstag und für die Nacht von Montag auf Dienstag werden bereits zweistellige Minustemperaturen vorhergesagt. Die Tage danach werden sogar tagsüber fast zweistellige Minustemperaturen erwartet. Shit. Das ist zu kalt. Laut der Vorhersage soll die Kaltfront auch eine ganze Weile vorherrschen. Nicht gut. Gar nicht gut. Nach Calgary sind es von hier aus noch 1.200 km. Aber wir müssen ja noch weiter. Calgary reicht nicht. Wie weit müssen wir denn fahren, um dieser Kaltfront zu entkommen? Wir checken die Wettervorhersagen für mehrere Orte entlang unserer Strecke durch die Rocky Mountains. Wir finden heraus, dass hinter dem ersten großen Gebirgspass der Rockys, dem Kicking Horse Pass, die Temperaturen schon deutlich gemäßigter vorhergesagt sind. Also tagsüber zu mindestens leicht über dem Gefrierpunkt. Das klingt schon besser. Daher nehmen wir uns jetzt den Ort Golden in British Colombia zum Ziel. Oh, British Colombia, auf einmal sind wir gedanklich unserem Ziel so nah. Nach Golden sind es von Calgary aus allerdings nochmal weitere 260km. Mit unseren gesetzten 300km Tagesziel, wären das also noch 5 Tage. Zu lang. Wenn wir es so weit schaffen, wie teilweise die letzten Tage, wären es 2,5 Tage. Immer noch zu lang, denn dann wären wir Montagabend in Calgary und mittendrin in der Kaltfront. Wir überlegen kurz, das Wetter in Calgary auszusitzen, aber verwerfen die Idee sehr schnell wieder, da keiner sagen kann, wie lange die Wetterlage anhält. Also gibt es nur eine Möglichkeit. Wir müssen am Sonntag so viel fahren, wie wir können. So dicht an Calgary herankommen, wie es geht, um Montagabend über den Pass nach Golden zu kommen. Wir überlegen auch, heute noch ein paar Kilometer zu machen. Aber es ist schon spät, dunkel und wir sind alle kaputt vom Tag. Dann lieber morgen ausgeschlafen ordentlich Strecke machen. Wir stehen morgens früher auf, als die letzten Tage und schon geht´s los. Wir fahren… und fahren… und fahren… oh ein Schild:

"Welcome to Saskatchewan - Land of the Living Skies"

Und fahren… und fahren… und fahren… und fahren… oh noch ein Schild:

"Welcome to Alberta - Wild Rose Country"

Ja, wir haben Saskatchewan tatsächlich an einem Tag durchquert. Viel gesehen von Saskatchewan haben wir dadurch natürlich nicht. Aber entgegengesetzt der langläufigen Meinung der meisten Menschen hier in Kanada, die Saskatchewan für den langweiligsten und ödesten Teil Kanadas halten, hat die Provinz für uns etwas, was wir so vorher noch nie gesehen haben. Es ist absolut flaches Land. Eine Weitsicht, die wir bisher nur vom offenen Meer kannten. Wolkenformationen am Horizont die sich in jede Himmelsrichtung unterscheiden und die beige-gelbe Prärie und steppenartige Landschaft ist in dieser Größe teils atemberaubend. Aber klar, die Begeisterung hält nicht die ganzen 660 km durch die Provinz an. Irgendwann wiederholt es sich dann doch. Dennoch sind wir froh, auch diesen Teil von Kanada sehen zu können.

Und dann spät abends, nach fast 1.000 km und 14 Stunden Autofahrt, bleiben wir 160 km vor Calgary auf einmal stehen. Neeiin, keine Panik. Wir bleiben nur stehen, um die Nacht auf einem Rastplatz direkt am Highway zu verbringen. Mausi macht bis jetzt alles wunderbar mit. War die Sorge vielleicht ganz umsonst? Naja noch sind wir nicht da und der schlimmste Teil wartet noch auf uns. Aber was war das für ein Ritt heute?! Uns allen tut der Hintern weh und wir sind froh, dass wir uns nun endlich hinlegen können. Die Temperaturen sollen in der Nacht nicht unter den Gefrierpunkt gehen. Schon mal gut…

Heute ist es dann also so weit. Der Teil der Strecke, der uns schon seit Wochen gedanklich begleitet, steht heute an. Wir haben heute früh -1°C und einen feinen Nieselregen. Super, immerhin kein Schnee und wenn es noch ein bisschen wärmer wird im Laufe des Tages, sind wir ja im Plusbereich. Das scheinen erst mal gute Voraussetzungen sein, um heute den ersten Teil über die Rocky Mountains zu fahren. Dachten wir…… Der feine Nieselregen verwandelt sich, durch den Fahrtwind, schnell in einen Eispanzer. Nach kurzer Zeit müssen wir einen Tankstopp einlegen und ich versuche Mausi vom Eis zu befreien. Eine dicke Eisschicht liegt über der gesamten Front. Vor allem die Scheibenwischer machen uns Probleme. Die Gummis frieren ein, verwandeln sich in eine Eisstange und das gewischte Sichtfenster wird minütlich immer kleiner. Das heißt wohl jetzt, regelmäßig, so alle halbe Std., anhalten, die Scheibenwischer vom Eis befreien und weiterfahren. Und an alle Schlauköpfe da draußen, nein das Wischwasser mit Frostschutzmittel hat auch nicht geholfen. 

Wir durchqueren Calgary und fahren hinein in die Rocky Mountains. Viel sehen können wir leider nicht. Die tiefhängenden Wolken und der Nieselregen, der jetzt immer mehr zu Schnee wird, verschleiern den Blick auf die Berge. Aber egal, Hauptsache wir schaffen das jetzt. Ein weiterer kurzer Tankstopp in Banff und weiter geht’s. Ja die Stadt in dem wahrscheinlich bekanntesten Nationalpark Canadas, durch den wir jetzt einfach durchfahren ohne weiteren Stopp. Schade, aber Lara und Ich wissen jetzt bereits, dass wir im Frühjahr wiederkommen werden. Für Jonas und Linus natürlich sehr schade, aber es war von Anfang an unser Plan, die Rockys so schnell wie möglich zu durchqueren. Das Wetter verleiht diesem Plan nun auch nochmal einen gewissen Nachdruck. Weiter geht es stätig die Rockys hoch. An Lake Louise vorbei und dann sehen wir irgendwann in der Ferne dieses Schild. Das Schild was sagt:

"British Columbia - Welcome"

What? Wirklich? Haben wir soeben wirklich die Grenze nach British-Columbia überquert? Ja, haben wir. Wir haben es geschafft. Wir sind in der Provinz unseres Zielortes. Wir sind angekommen in der jetzt 10. Provinz auf unserer Tour. Ein unbeschreibliches Gefühl. Denn wir haben es jetzt nicht nur nach British-Columbia geschafft, sondern somit auch den Kicking Horse Pass überwunden. Und ehrlich gesagt, war es überhaupt nicht so schwer, wie befürchtet. Dadurch dass es stätig ein bisschen bergauf ging, ist uns kaum aufgefallen, dass wir auf 1.627m hoch gefahren sind. Wahnsinn. Jetzt nur noch nach Golden und wir haben unsere Tagesetappe geschafft. Auf dem Weg machen wir noch einen kurzen Halt an einem, eigentlich bereits geschlossenem, Parkplatz, um kurz runter zu einem knall türkisen Fluss zu gehen und das Bergpanorama, dass man mittlerweile schon besser sehen kann, zu bewundern. Es ist seit Tagen, das erste Mal, dass bei mir eine große Last abfällt. Wir sind jetzt in den Rockys. Wir haben es geschafft. Also noch nicht ganz und vor uns liegt noch eine weite Strecke, aber egal. Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten. 

Da die angesagten Temperaturen für Golden nun in der Nacht auch wieder tiefer sein sollen, entscheiden wir uns erneut für eine Unterkunft. Nach kurzer Recherche findet Lara eine traumhafte Bleibe für die Nacht. Die Basecamp Lodge in Golden. Ein riesige Blockhütte, die für uns ein kleiner kanadischer Traum ist. Wir buchen uns ein Vierbettzimmer und sitzen abends gemeinsam auf riesigen kuscheligen Sofas am offenen Kamin im Foyer. Draußen schneit es mittlerweile immer doller, aber wir machen uns darüber keine Gedanken. Wir genießen einfach den Abend und freuen uns eher darüber, dass der Schnee, den wir aus der großen Glasfront beobachten können, ein Kanada typisches Bild malt, wie wir uns es nie hätten vorstellen können. Es geht an diesem Abend, ungeplant, ein kleiner Traum in Erfüllung. Ich merke, dass ich alle Sorgen von mir abfallen lassen kann und denke mir eher, dass wenn wir hier eingeschneit werden, wir halt noch ein paar Tage hierbleiben. Wäre doch eigentlich ganz schön.

Und ja, am nächsten Morgen liegen ca. 20 cm Neuschnee. Mausi ist bedeckt mit einer dicken Schneeschicht und die Straßen sind teilweise noch nicht geräumt. Gut, dass wir gestern in Banff noch Türschlossenteiser gekauft haben, denn sonst wäre Mausi heute wohl zu geblieben. Krass, denn immerhin haben wir Ende Oktober. Der Rezeptionist erzählt uns dann auch, dass so viel Schnee, selbst hier, so früh sehr außergewöhnlich ist. Egal, denken wir uns. Wir wollen weiter. 

Golden liegt zwischen den beiden hohen Gebirgspässen der Rocky Mountains, die es auf dem Trans Canada Highway zu überwinden gilt. Den höheren davon haben wir bereits geschafft. Nun wartet der zweite auf uns. Und das mit so viel Schnee. Aber auch das ist kein Problem für uns und für Mausi. Der Highway ist geräumt und wunderbar befahrbar. Wir genießen die Winterlandschaft und fahren hoch zum zweiten Pass. Auf dem Weg dorthin, als wir uns den Berg hochkämpfen, sehen wir auf der rechten Seite einen LKW im Graben liegen. Die Unfallstelle liegt direkt hinter einer Kurve, so dass wir schon vorbei sind, bevor wir überhaupt richtig realisieren, was genau da war. Den Fahrspuren im Schnee nach zu urteilen, scheint der LKW bergab gefahren zu sein und ist dann einmal quer über die Gegenfahrbahn in den Graben gerutscht. Ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist. Uns wird kurz mulmig bei dem Gedanken, dass man auch genau zu dieser Zeit dort gewesen, und vom LKW erwischt hätte werden können.

Unser Tagesziel ist Kamloops. Wir haben uns dazu entschlossen, dort auch wieder ein Air BnB zu mieten. Diesmal wollen wir allerdings zwei Nächte bleiben. Wir haben das Gefühl, dass wir nach dem ganzen Stress der letzten Tage, es mal gut gebrauchen können, einen Tag kein Auto zu fahren. Vom Pass aus geht es stetig bergab. Relativ schnell wird der Schnee weniger, bis gar kein Schnee mehr zu sehen ist. Die Landschaft ändert sich von den kargen, riesigen Felsformationen der Rockys mit den Nadelbäumen zu eher niedrigeren, abgerundeten und vor allem braun-beigen Bergen. Es ist erstaunlich diesen schnellen Wandel der Landschaft mitzuerleben. Wir kommen auch vorbei an riesigen niedergebrannten Gebieten. Riesige Flächen, wo nur noch die schwarzen, rußbedeckten Baumstämme stehen, sowie Reste von abgebrannten Häusern und Autos am Straßenrand. Es ist für uns tatsächlich das erste Mal, dass wir so direkt konfrontiert werden mit den Auswirkungen der Waldbrände. Es ist erschreckend. Traurig. Schockierend.

Die Zeit in Kamloops genießen wir sehr. Es ist schön mal wieder morgens aufzustehen und nicht gleich weiter zu müssen. Wir laufen ein wenig durch die Stadt und essen abends einen Döner in einem Imbiss eines deutschen Auswanderers. Auch wenn er nicht so gut war, wie ein Döner aus der Heimat, konnte er unsere Sehnsucht doch ein wenig befriedigen 😀 Kamloops selber empfinden wir eher als langweilig. Die Umgebung mit ihren beige-braunen Bergen hat jedoch einiges zu bieten.

Es gibt von Kamloops aus zwei Möglichkeiten, nach Vancouver zu fahren. Es gibt die Möglichkeit, dem Trans-Canada-Highway zu folgen oder den deutlich anspruchsvolleren Highway 99 (im späteren Verlauf Sea-to-Sky Highway genannt) zu fahren. Marshal und Manou, die den Highway 99 ein paar Wochen vor uns gefahren sind, warnen uns und sagen, dass der wirklich sehr anspruchsvoll ist. Wir überlegen daher hin und her, welche Strecke wir nun nehmen sollen. Denn so anspruchsvoll der Highway 99 ist, so atemberaubend schön soll er auch sein. Wir gucken uns über Webcams die Straßenbedingungen an und sehen, dass zu mindestens schon mal kein Schnee liegt. Gut. Aber mit Mausi eine solche Strecke zu fahren, könnte schon ein echtes Risiko sein. Ich finde beim Recherchieren über den Highway einen Bericht, der besagt, dass der Highway 99 zu den gefährlichsten Straßen der Welt gehört. Och, na dann. Aber haben wir nicht kürzlich noch stolz gedacht, dass wir uns nie von diesem Gefühl haben einschränken lassen? Haben wir nicht bis jetzt alles gemacht was wir wollten und es ist gut gegangen? Ja! Also heißt es wieder einmal „Was soll schon schief gehen“ und ab dafür, zum:

Highway 99 - "Sea to Sky Highway"

Der Highway 99 schlängelt sich etwa 340km durch die „Coast Mountains“ Gebirgskette bis nach Vancouver. Nach der kurzen Erholungspause geht es für uns weiter. Es liegen noch knappe 420km vor uns. Warte mal, waren das nicht mal 6.000 vor ein paar Tagen? Wahnsinn… theoretisch sind wir jetzt nur noch eine Tagestour von unserem großen Ziel entfernt. Wir können es kaum glauben. Da uns das Wetter jetzt nicht mehr im Nacken sitzt, und tatsächlich ganz im Gegenteil, sehr schön ist, wollen wir den Rest der Tour etwas entspannter angehen.

Von Kamloops aus fährt man noch etwa 80km, bis man auf den Highway 99 abbiegt. Die Landschaft bis dahin begeistert uns. Es ist eine Mischung aus Bergen und einer Prärie. Wir fahren an einer Ranch nach der anderen vorbei und fühlen uns teilweise wie im so genannten „Wilden Westen“. Auch ein paar Bergziegen entdecken wir Wegesrand. Dann biegen wir links ab auf den Highway 99. Innerhalb von wenigen hundert Metern ändert sich die Landschaft so sehr, dass man gar nicht glauben kann, eben noch durch die prärieartige braune, kaum bewaldete Hügellandschaft gefahren zu sein. Von jetzt auf gleich fahren wir durch einen Nadelwald, es liegt wieder leichter Schnee am Straßenrand, bis nach der nächsten Kurve die ganze Landschaft schneebedeckt ist. Es macht sich nach jeder Ecke ein neues Bergpanorama auf. Die beige-braunen, runden Hügel verwandeln sich in dunkle, karge, felsige mit Schnee bedeckte, hohe Berge. Kurz vor Lillooet machen wir einen kurzen Stopp an einem Aussichtspunkt. Und was soll ich sagen. Eine der atemberaubendsten Aussichten, die wir bisher erleben durften. Ein Panorama, wie von einer Postkarte. Ein breiter Fluss, über den eine Eisenbrücke führt, schlängelt sich durch das Tal. Links und rechts vom Fluss eine karge Landschaft mit einigen Nadelbäumen. In der Ferne tuen sich riesige steile Berge auf, die zum Großteil mit Schnee bedeckt sind. Lara kommen genau hier sogar die Tränen. Ich denke aber, dass es nicht nur der Aussicht geschuldet ist. Es ist diese Erleichterung, der Stolz, diese Befreiung es bis hierher geschafft zu haben. Zum ersten Mal wird uns richtig bewusst, was wir geschafft haben. Wir haben mit der alten 40 Jahre alten Mausi einen ganzen Kontinent durchquert. Wir sind vom Atlantik zum Pazifik gefahren (nagut, noch nicht ganz, aber zählt schon fast). Wir haben einmal Canada durchquert, um nun hier mitten in den Bergen bei wunderschönem Wetter diesen Ausblick genießen zu können. Danke! Wem auch immer. Vielleicht sollten wir auch einfach mal uns selber danken, dass wir es durchgezogen haben. Und damit meine ich nicht nur die Herausforderungen hier in Canada. Ich mein damit auch all die Hürden, die wir vor Antritt unserer Reise überwunden haben. Danke für den Mut, alles zu Hause loszulassen, um nun hier zu stehen!

Jetzt aber genug des sentimentalen Geredes. Ab ins Auto, der Bus fährt ab. Der schlimmste Teil der Strecke liegt noch vor uns. Kurz hinter Lillooet geht es auch schon los. Die Steigung nimmt zu. Wir fahren vorbei an einem phänomenalen türkis blauen See inmitten der Berge und das Navi zeigt ziemlich bald sehr enge Serpentinen. Das muss es also sein. Die Herausforderung. Ich gucke den Berg hoch und sehe sehr weit oben eine Straße. Oh shit, da sollen wir wohl gleich hoch. Naja jetzt gibt es nur noch eine Richtung, vorwärts. Da erwartet uns auch schon eine dieser super engen 180 Grad Kurven. Da es bereits steil bergauf geht und ich nicht zu viel Geschwindigkeit verlieren will, versuche ich die Kurve so langsam wie nötig und schnell wie möglich zu nehmen. Es klappt, wir sind rum und haben noch eine gute Geschwindigkeit. Naja, dass dabei so das Ein oder Andere durch den Van geschleudert wurde, verschweige ich an dieser Stelle mal. Mausi klettert fleißig den Berg weiter hoch. Und irgendwann sind wir angekommen. Oben. Es geht wieder bergab. Na toll, auch nicht so viel besser. Immerhin nicht so steil, wie es bergauf ging. (Spoiler Alarm: noch nicht). Die Straße führt weiter zwischen den hohen Bergen, an einem See entlang und wieder durch einen Nadelwald. Die Landschaft gibt uns auf jeden Fall eine Entschädigung für die Strapazen der letzten Kilometer. Wir machen einen Halt am Joffre Lake und beschließen, da wir noch Zeit haben, eine kleine Wanderung zum See zu machen. Wir parken das Auto, packen unsere Rucksäcke mit Trinkwasser, dem Erste-Hilfe-Pack, Snacks und ziehen uns die Wanderschuhe an. Wir sind „ready for the hike“. Los geht die Wanderung. Etwa fünf Minuten wandern wir durch einen dicht bewachsenden Nadelwald, bis wir dann an einem See ankommen. Ach, das ist schon der See? Das war unser Ziel? Na gottseidank haben wir uns für diesen Hike so gut vorbereitet. Egal, wir genießen die Aussicht über den See und stellen fest, dass dieses Bild mit dem türkisenen See, dem dahinterliegendem Nadelwald und daraus herausragenden Felsen genau das Bild ist, was man vor Augen hat, wenn man an Kanada denkt. Ja, wir sind angekommen in diesem klassischen Touri Kanada. Aber man kann auch nicht verleugnen, dass es verdammt schön ist. Wir sollten nun aber auch langsam wieder unseren Rückweg zum Auto antreten. Schließlich wird es in 4 Stunden dunkel und wir haben noch einen 5 Minuten Fußmarsch vor uns. Fairerweise muss man sagen, dass es den Lower, Middle und Upper Joffre Lake gibt. Wir hatten bei Google Maps gesehen, dass man ca. 1 Stunde zum Upper Joffre Lake wandern kann. Vor Ort sagten die Hinweisschilder dann aber etwas von 3 Stunden für eine Strecke, Lawinengefahr und dass man nur gut vorbereitet diese Wanderung antreten sollte. Also wir waren ja vorbereitet, aber dafür dann doch nicht. Und wieder einmal wurden wir von Google Maps verarscht.

 

Weiter geht die lustige Fahrt. Kurz nachdem wir den Parkplatz verlassen, raten die Schilder, LKW-Fahrern, in den nächsten Kilometern die Motorbremse zu gebrauchen und vor der Abfahrt einen Bremsencheck durchzuführen. Das bedeutet meistens, dass es wieder steil bergab geht. Und das tut es auch. Ehrlich gesagt, habe ich immer größeren Respekt vor dem bergab fahren, als dem bergauf fahren. Aber, wie Linus an dieser Stelle wieder sagen würde, nützt ja nichts. Es geht also mehrere Kilometer mit teils 13-15% bergab. Am Straßenrand sehen wir kurz hintereinander zwei ausgebrannte PKW. Nicht gerade beruhigend. Fast am Ende kommen auch nochmal vier 180 Grad Kurven, für die man dann nochmal besonders stark abbremsen muss. Es ist die ganze Zeit ein Spiel zwischen, im niedrigen Gang fahren bis das Getriebe schreit und nicht zu viel bremsen, damit uns diese nicht abrauchen. Aber wir schaffen es. Wir kommen heil unten an. Auf der rechten Seite ein großes Wohnmobil. Der Fahrer guckt sich besorgt die qualmenden Bremsen an. Puuh, wir haben es zum Glück ohne qualmende oder stinkende Bremsen geschafft. Ja, nach allem, was wir an Straßen bisher in Kanada mitgemacht haben, war der Highway 99 bis jetzt definitiv die größte Herausforderung.

Wieder einmal ändert sich die Landschaft so plötzlich, dass wir es kaum realisieren können. Eben noch in den Nadelwäldern der Berge, finden wir uns jetzt in einer flachen Sumpflandschaft wieder. Die Straße schlängelt sich vorbei an Flüssen, Tümpeln, ausgetrockneten Bäumen und immer mal wieder alte, teils heruntergekommene Häuser am Straßenrand auf deren Grundstücken Schrott, Müll oder uralte Autos gelagert werden. Umgeben wird diese Landschaft wiederum von steilen Felswänden und hohen Bergen. Verrückt, was wir allein am heutigen Tag schon alles durchlebt haben. Kurz hinter der nächsten großen Ortschaft, Pemberton, machen wir einen weiteren Zwischenstopp um uns nach einer, diesmal sogar 30-minütigen Wanderung, die Nairn Falls anzugucken. Kurz vor Sonnenuntergang bietet sich uns, ja schonwieder, ein wunderschönes Bild. Die Gischt oben am Anfang des Wasserfalls wird von der Sonner angestrahlt. Das Wasser bahnt sich unten dann seinen Weg durch eine Art S-förmigen Canyon und mündet dann in einem weiteren kleineren Wasserfall, von dem aus er langsam immer breiter zu dem Fluss wird, an dem wir hergewandert sind. Linus guckt auf den Wasserfall und sagt, dass es vermutlich der schönste Ort ist, an dem er jemals war. Wow, ich freue mich sehr, dass wir den Beiden, trotz der Strapazen und dem Stress der letzten Tage, jetzt noch sowas bieten können.

Es geht für uns heute noch eine halbe Stunde weiter nach Whistler. Der #1 Skiort in Canada. Wir sind natürlich nicht zum Skifahren dort, aber wollen uns trotzdem, diesen „sagenumwobenen“ Ort mal ansehen. Und ich nehme es an dieser Stelle vorweg: Touriiiiiii !!! Aber gut, was haben wir auch erwartet. Wir finden eine super Unterkunft in einer Art Hotel. Jedoch sind die Hotelzimmer hier ganze Appartements. So haben wir also ein 80qm Appartement mit zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmern, Küche und einem großen Wohnzimmer für gerade einmal 160 Dollar für uns. Der Preis in der Hauptsaison, für dasselbe Appartement liegt übrigens jenseits der 1000 Dollar. Wahnsinn! Am Abend treffen wir uns noch mit einem Freund von Jonas uns Linus, der hier in einem der vielen Skiresorts arbeitet. Wir hoffen sehr darauf, einen Schwarzbären sichten zu können. Diese kommen regelmäßig in die Stadt und streifen durch den Ort. Aber heute zeigt sich leider keiner mehr. Whistler selbst ist ein Ort, der nur für und von dem Tourismus lebt. Teure Boutiquen wechseln sich mit hippen Restaurants ab und günstig ist hier sowieso schon mal Garnichts.

Es geht wieder weiter. Der Morgen begrüßt uns mit einem herrlich blauen Himmel und der Sonne, die die gegenüberliegenden Berge anstrahlt. Es ist unfassbar schön, so aufzuwachen. Wir verabschieden uns von dem kurzen Luxusleben und fahren weiter Richtung Süden. Wir sind nun nur noch 120km entfernt von Vancouver. Die aufmerksamen unter euch, wissen, was das bedeutet. Genau, ab jetzt kann nichts mehr schief gehen. Notfalls lassen wir uns nach Vancouver abschleppen. Aber so weit wollen wir jetzt auch noch gar nicht denken. Aber leugnen können wir auch nicht, dass das mal wieder ein beruhigendes Gefühl ist. Dumm! Wieso vertrauen wir dem Auto eigentlich so wenig? Es hat uns mittlerweile durchs ganze Land gebracht. Hat die härtesten Strapazen relativ problemlos gemeistert. Ist jeden Morgen problemlos angesprungen und trotzdem haben wir solche Angst. Völlig irrational. Wir schauen uns zwei weitere Wasserfälle an und übernachten noch eine Nacht in Squamish. Es fühlt sich schön an, sich wieder so viel Zeit für eine Strecke zu nehmen. Von Squamish aus geht es den Sea-to-Sky-Highway (in unserem Fall der Sky-to-Sea-Highway), entlang der Küste des „Howe Sounds“ immer weiter Richtung Vancouver. Jeden Meter verstehen wir, warum dieser Highway als einer der schönsten Straßen der Welt gilt. Bei Horseshoe Bay, wo unter anderem die Fähre nach Vancouver Island ablegt, geht es um die Spitze rum und dann. Da. Endlich. Unfassbar. Seit 16 Tagen warten wir auf diesen Anblick, auf diesen Moment. In der Ferne sehen wir die Skyline von Vancouver.

Bevor wir allerdings dort ankommen, wollen wir noch mal wieder einen kleinen Zwischenstopp einlegen und laufen ein paar Stunden durch den Lynn Canyon Park in North Vancouver. Wir bestaunen die regenwaldartige Natur, laufen über die Hängebrücken, die den Canyon überspannen und lassen uns verzaubern von diesen riesigen Bäumen. Und dann fehlen uns nur noch wenige Kilometer… durch die Stadt… mit viel Verkehr… und Stau… man wie haben wir das nicht vermisst. Aber egal, wir haben es jetzt geschafft.

Wir parken das Auto vor unserer Unterkunft, in der wir nun einige Tage verbringen werden und sind also angekommen. Nach 87 Tagen Vanlife, 7 Zeitzonen, 10 Provinzen, fast 17.000 Kilometern, etwa 2500 Litern Sprit und unzähligen Eindrücken, sind wir angekommen im gelobten Land. Im gelobten Westen. Im glorifizierten Vancouver. So in etwa fühlt es sich für uns an. Denn sehr viele Menschen, mit denen wir im Osten von Kanada gesprochen haben und denen wir unsere Pläne erzählt haben, für den Winter nach Vancouver zu fahren, haben uns immer wieder entgegengebracht, wie großartig, wie schön, wie perfekt es dort sei. Es sei der schönste Teil Kanadas, so die Meinung von Vielen. Wie unser eigener Eindruck ist? Dazu mehr in den nächsten Beiträgen. Nun heißt es erstmal auspacken, die Wohnung beziehen und entspannen… viel entspannen. Achja und nicht vergessen, Schnapps trinken! Denn nachdem Heiner uns in Montreal den fantastischen „Sortilege“, ein Whiskey Likör mit Ahornsirup, serviert hat, haben wir uns natürlich gleich in Montreal noch eine Flasche besorgt. Wir hatten damals abgemacht, dass wir die Fasche öffnen, wenn wir noch mal mit dem Auto liegen bleiben sollten oder spätestens bei der Ankunft in Vancouver. Und was soll man sagen, sie ist noch verschlossen und wir mussten glücklicherweise bis heute warten, bis wir uns wieder einen Schluck gönnen können. Danke Mausi! Und danke auch Jonas und Linus! Wir hätten uns kaum bessere Reisepartner für diese Tour vorstellen können.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Bettina Gossow

    Ganz ganz toll geschrieben – bringt richtig Spaß zu lesen …
    Ich wünsche Euch für eure weitere sehr spannende Reise alles Gute und saugt jeden besonderen Augenblick in Euch auf .
    Wir freuen uns mittlerweile auf unsere beide Jungs die wieder nach Hause kommen und vielen Dank , dass Ihr sie auf dieser mega Tour von Ost nach West mitgenommen habt .

    1. Eileen Lara

      Danke dir 🙂 Es hat uns auch sehr viel Spaß mit den beiden gemacht und wir freuen uns schon, die beiden irgendwann wieder zu sehen!

Schreibe einen Kommentar